Eine skandaloese Liebesfalle
zupfte an der Bettdecke. Aus keinem erkennbaren Grund erreichte Elissandes bis dahin grenzenloser Überschwang einen jähen Tiefpunkt.
„Gibt es etwas, das ich wissen sollte?“, fragte sie und hoffte, das sei nicht der Fall.
„Nein, natürlich nicht“, antwortete Tante Rachel. „Du hast mir von dem Arzt erzählt, nicht wahr, der, der meine Sucht behandeln wird? Bitte sprich doch weiter. “
Elissande schaute ihre Tante einen Augenblick länger an, dann lächelte sie strahlend.
„Nun, er will dich morgen früh untersuchen. Er scheint mir ein sehr freundlicher Mann zu sein. “
Was auch immer Tante Rachel ihr verschwieg, Elissande wollte es eigentlich gar nicht wissen.
16. Kapitel
Eine der ersten Maßnahmen, die Vere in Angriff nahm, als er volljährig wurde, war, die Unveräußerlichkeit des zum Marquessat gehörenden Landsitzes aufzulösen. Er hatte einen kleineren Skandal verursacht, als er das Herrenhaus zum Verkauf angeboten hatte. Aber die Welt änderte sich. Ein herrschaftliches Haus auf dem Land, besonders angesichts des Umstands, dass die Bewirtschaftung der Ländereien immer mehr an Bedeutung für den Erwerb von Reichtum einbüßte, war für zu viele ein Mühlstein um den Hals geworden.
Es war nicht das Leben, das er sich wünschte, sein Schicksal und seine Wahlmöglichkeiten gekettet an einen Haufen Steine, wie herrlich und historisch bedeutsam sie auch sein mochten. Noch war es das Leben, das er für Freddie und dessen Erben wollte, da nun einmal die Chancen eher dahin gehend standen, dass Vere unverheiratet blieb und Freddie irgendwann den Titel erben würde.
Aber er besaß ein Haus auf dem Land. Die meisten seiner ausgedehnten Spaziergänge hatten ihn entlang der Küste am Bristolkanal geführt. Im Frühjahr 1894 war er zwei Wochen lang durch die Gegend um den Mündungsbereich der Axe gewandert. Am letzten Tag seines Aufenthalts dort war er auf dem Rückweg von einem Ausflug ins Landesinnere, um die Ruinen von Berry Pomeroy Castle zu besichtigen, zufällig an dem bescheidenen Haus mit dem ganz unbescheiden herrlichen Rosengarten vorbeigekommen.
PIERCE HOUSE hatte auf dem Schild über dem niedrigen Gartentor gestanden. Er hatte es mit einer derart heftigen Sehnsucht betrachtet, wie er es nie für möglich gehalten hätte, sie für ein einfaches Anwesen zu empfinden. Das war das Haus mit den weiß getünchten Mauern und den rot umrandeten Fenstern, der Garten, so wohlduftend und malerisch wie etwas, das eigentlich längst in Vergessenheit geratenen war. Als er nach London zurückgekehrt war, hatte er seine Anwälte angewiesen, herauszufinden, ob das Haus zum Verkauf stand. Dem war so gewesen, und er hatte es erworben.
An dem Tag, an dem er seine Frau nach Pierce House brachte, stand sie eine Weile davor, vor dem Garten, der unermüdlich blühte, auch wenn der Höhepunkt der Rosensaison längst vergangen war.
„Es ist ein wunderschöner Besitz“, hatte sie erklärt. „So friedvoll und ...“
„Und was?“, fragte er.
„Gewöhnlich.“ Sie schaute zu ihm empor. „Und das meine ich als höchstes Lob.“
Er verstand sie, selbstverständlich tat er das. Das war der Grund, warum das Gebäude und der Garten ihn so in Bann gezogen hatten, warum ihm jedes Mal das Herz schmerzte, wenn er es anschaute: Die Verkörperung all der süßen Normalität, die ihm vorenthalten worden war.
Aber er wollte sie nicht verstehen. Er wollte keine Gemeinsamkeiten mit ihr entdecken.
Er wusste, wie er das Leben führen sollte, für das er sich entschieden hatte. Er besaß die perfekte Gefährtin: eine, die ihn nie verletzten, verärgern oder enttäuschen würde. Er wusste nicht, wie er mit den Fallstricken - oder Chancen - eines anderen Lebens klarkommen sollte. „Nun, dann genieß es“, sagte er. „Es ist dein Zuhause.“ Für jetzt.
Elissande fand Devonshire wunderschön, das Klima hier war milder und sonniger als alles, was sie je zuvor erlebt hatte. Von dem Meer, das sie während ihrer Gefangenschaft auf dem Land immer schon fasziniert hatte, ließ sie sich völlig vereinnahmen. Und das, obwohl sie es nicht von den hohen Felsenklippen Capris aus betrachtete, sondern von den Hügeln, die sich an dem Küstenabschnitt entlangzogen, der allgemein als Englische Riviera bekannt war.
Aber sie hätte einen kargen Felsen in der Mitte einer Wüste wunderschön gefunden, denn es war die Freiheit selbst, die so berauschend war. Manchmal ließ sie sich zum nächsten Dorf fahren, einfach nur, weil sie es konnte.
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