Eine skandaloese Liebesfalle
versagten ihm nicht ihre Dienste. Elissande Edgerton war eine vollkommene Schönheit, vergleichbar mit einem Akt von Degas, herrlichste Rundungen, wohin er auch schaute, ganz weiche Haut, durch das Kerzenlicht geheimnisvolle Schattierungen. Und dann kam sie auf ihn zu, teilte die Lippen. Sie sah so wunderschön aus, zart und glatt, die dunkleren Brustspitzen in verführerischer Bewegung.
Sie hob die Arme und schlang sie ihm um seinen Hals. Sie duftete, so wie sie es immer tat, nach Honig und Rosen. Mit ihrem Mund, kühl und bebend, streifte sie seinen.
Eine Reaktion durchzuckte ihn. Lust, in Fülle und mit erstaunlicher Macht, aber nicht Lust allein. Endlich riss der Schreck ihn aus seiner Starre.
Wie hatte er sich nur so furchtbar täuschen können? Ihre Tante war eine gebrochene Frau, die nicht länger schreien konnte, selbst in Todesangst nicht. Miss Edgerton konnte immer und unter allen Umständen lächeln -und tat es auch. Alles deutete darauf hin, dass ihr Onkel ein Monster war. Sie wollte nicht einfach einen Ehemann. Sie wollten einen Weg, aus diesem Haus zu entkommen.
Und sie war so verzweifelt, dass sogar er ihr reichte.
Er löste ihre Arme von seinem Hals und wich zurück. Sie folgte ihm. Ohne nachzudenken, riss er den Vorhang neben sich vom Fenster und schleuderte mehrere Meter Musselin auf sie. Sie kämpfte gegen die Schwere des Stoffs an - die pornografische Vorstellung eines Mädchens, das einer Mumie ähnelte.
Er lief vor ihr weg. Aber obwohl sie durch die Stofffalten behindert wurde, stürzte sie sich auf ihn. Die Wucht, mit der sie gegen ihn prallte, brachte ihn derart aus dem Gleichgewicht, dass er mit ihr zusammen über die gebogene Polsterlehne der Chaiselongue fiel, wobei sie auch noch einen der Ständer umstießen.
Etwas aus Glas zerbrach laut - eines der Flaschenschiffe. Noch etwas zerbrach - der Halter mit der Kerze, die sie mitgebracht hatte. Das Zimmer war in Dunkelheit getaucht. Er versuchte sie von sich zu heben, aber sie verfügte über dämonische Kräfte; wie eine von Jules Vernes Riesenkraken schlang sie wieder ihre Arme um ihn. Er stellte einen Fuß auf den Boden und drehte sich um, sodass sie gegen die Rückenlehne des Sofas gedrückt wurde - und stemmte sich dagegen.
Ja, jetzt... langsam lockerte sich ihr Griff. Er wandte mehr Kraft auf. Sie ließ einen erstickten Ausruf der Erbitterung hören. Oder war es ein Schmerzenslaut? Es war ihm egal. Er musste sie irgendwie loswerden. Sie kämpfte mit neuerlichem Elan. Gütiger Himmel, fast hätte sie ihm das Knie in den Schritt gerammt.
Er war sich nicht sicher, was geschah, aber plötzlich kippte die Chaiselongue nach hinten, sodass sie beide auf dem Teppich landeten. Sie rollten umeinander, ehe sie liegen blieben, sie abermals auf ihm, dieses Mal aber ohne den Vorhang.
Ihr Haar hatte sich während des Gerangels komplett gelöst. Sie keuchte. Ihre wunderschönen Brüste hoben und senkten sich. Und gerade noch zu erkennen unter
dem Wasserfall ihrer Haare kleine, fest zusammengezogene Brustspitzen ...
Wie kam es eigentlich, dass er überhaupt etwas sehen konnte? War nicht eben die Kerze ausgegangen? Sein Blick suchte die Lichtquelle, doch seine Intuition hatte schon längst begriffen, was sein Verstand sich noch weigerte, zur Kenntnis zu nehmen.
Da war eine weitere Person im Zimmer.
„Oh je, oh je, oh je“, murmelte Lady Avery vor sich hin. Dann kicherte sie. „Ich muss schon sagen, Sie beide hätte ich nicht hier erwartet.“
Jetzt sprang Miss Edgerton von ihm. Jetzt wickelte sie sich hastig in den Musselinvorhang. Jetzt stammelte sie: „Es ... es ist nicht das, was Sie denken.“
„Nein? Was denken Sie, was es wohl ist, Lady Kingsley?“
Verdammt, nicht auch noch Lady Kingsley.
Ihre Blicke trafen sich. „Ich ... äh ...“ Lady Kingsley stockte. Ihr Entsetzen war fast so groß wie das von Vere. „Es ist auf jeden Fall eine unangenehme Sache.“
„Unangenehm, Lady Kingsley? Unangenehm ist es, wenn Ihr Lakai sich das Bein bricht und Sie niemand anderes als das Zimmermädchen haben, um Ihren Besuchern den Tee zu servieren. Dies hier ist unerhört. Und man denke nur, Lord Vere, dass Ihr Vater ein Schulkamerad von Sir Bernard Edgerton war, Miss Edgertons Onkel.“ Bis zur Erwähnung seines verstorbenen Vaters war Vere nicht ein einziges Mal der Gedanke gekommen, dass Miss Edgertons Intrigen ihn tatsächlich zum Altar führen könnten. Schließlich kannte er sie erst drei Tage. In Wahrheit hatte er sie noch nicht
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