Eine Socke voller Liebe
stadteinwärts wiesen.
„Komisch“, meinte Andrea, „wir müssen bergauf, das ist doch
richtig. Ich habe den Eindruck, wir laufen trotzdem in die falsche Richtung.“
„Sieht ganz so aus. Lass uns die paar Schritte zurückgehen,
um uns zu vergewissern“, schlug Sabine vor.
Die junge Frau, die sie nach dem Weg fragten, schmunzelte:
„Ja, ihr seid am falschen Ortsausgang. Der Jakobsweg führt auf der anderen
Seite aus der Stadt hinaus.“
Andrea und Sabine schauten sich an und lachten.
„Na, das fängt ja schon wieder gut an!“
Erleichtert, endlich auf dem richtigen Weg zu sein, liefen
sie durch das legendäre Pilgertor.
Sie hatten jetzt genug von Chaos und Menschenmengen, von
Umwegen und Irrungen, Besichtigungen und Sehenswürdigkeiten, vom
Zeittotschlagen, Bummeln und Trödeln. Sie wollten endlich mit ihrer Wanderung
auf dem Jakobsweg beginnen!
Was machte es da, dass die Sonne hoch am Himmel stand und
heiß auf die asphaltierte Straße schien? Immerhin lag eine Straßenseite im
Schatten.
Nach einer Stunde Aufstieg rasteten sie unter einem Baum,
aßen Baguette mit Käse und Tomaten, bewunderten die herrliche Bergwelt und
freuten sich, unterwegs zu sein.
Die Sonne stand immer noch hoch am Himmel, als sie
weiterliefen. Der Asphalt unter ihren Füßen war weich geworden. Es gab kaum
noch Schatten. Der Anstieg wurde immer steiler, und das Wasser in den
Plastikflaschen immer wärmer.
Sie lechzten von einem Baum zum nächsten, um einmal
durchzuatmen und einen Schluck zu trinken. Ihre Euphorie schmolz wie Schnee in
der Sonne dahin.
Nach zwei Stunden erreichten sie eine kleine Gaststätte.
Andrea und Sabine sahen die großen, schattigen Freiflächen unter den Bäumen.
Ein herrlicher Platz für eine geruhsame Pause! Die Tischgruppen standen
allerdings in der prallen Sonne. Ein Mann saß allein vor einem Glas Bier an dem
einzigen Tisch, der im Schatten des Hauses stand.
Sie sahen sich kurz um, und als sie niemanden entdeckten,
nahmen sie zwei Plastikstühle und stellten sie unter einen Baum. Doch bevor sie
auch noch den dazugehörenden Tisch in den Schatten tragen konnten, schoss eine
dicke Frau wie eine Rakete auf sie zu. Eine Tirade französischer Wörter
prasselte auf die Freundinnen nieder. Leider verstanden sie kein Wort.
Die Wirtin gab ihnen mit unmissverständlicher Gebärde zu
verstehen, dass sie die Stühle sofort wieder an ihren Platz zu stellen hatten.
Wenn sie nicht in der Sonne sitzen wollten, könnten sie sich unter dem
Wellblechdach vor dem Haus niederlassen.
Gehorsam wie zwei gescholtene Schulmädchen räumten sie die
Sitzgelegenheiten wieder an ihren Platz und setzten sich murrend auf die
überdachte Terrasse.
Die eiskalte Cola aus dem Automaten und das Absetzen des
Rucksackes waren das einzig Gute an dieser Pause.
Stückchenweise wich die fröhliche Erwartungshaltung einer
ernüchternden Realität.
Weiter ging es bergauf. Der Weg wurde steil und steiler, die
Sonne heiß und heißer, die Rucksäcke schwer und schwerer. Manchmal waren
Wanderwege markiert, die zwischen den Serpentinen der Straße steil bergauf
führten. Manchmal liefen sie mutig diese Abkürzungen. Trotz des steilen
Aufstieges ließ es sich hier angenehmer laufen als auf dem heißen Asphalt.
Zudem schenkten hohe Büsche an den Seiten wenigstens ab und zu ein wenig
Schatten.
„Außer uns scheint zurzeit niemand unterwegs zu sein“,
stellte Sabine fest, „da waren nur die zwei jungen Pärchen, die uns gleich
hinterm Ortsausgang überholt haben.“
„Selbst in der Raststätte saß nur der einsame Mann über
seinem Bier, und der sah nicht aus wie ein Pilger.“
„Wenn es doch nur nicht so heiß wäre!“, stöhnte Sabine. Unter
dem großen Sonnenhut rannen Schweißperlen über ihr Gesicht. „Ich habe das
Gefühl, als wäre ich mit Klamotten in die Sauna gegangen.“
„Hätten wir nur nicht den gut gemeinten Ratschlag befolgt,
noch einen ausgiebigen Stadtbummel zu machen, sondern wären heute Vormittag
gleich los gelaufen“, bedauerte Andrea.
„Tja, hätten wir, hätten wir… Davon gibt es in meinem Leben
genug. Das nützt uns jetzt auch nichts“, antwortete Sabine mürrisch.
„Da vorne ist wieder so ein schöner Aussichtspunkt. Schau
doch nur, wie herrlich“, lenkte Andrea ab und blieb stehen, um zu verschnaufen.
Immer wieder wurde ihre Schinderei ein kleines bisschen durch
wunderschöne Ausblicke entschädigt. Je höher sie kamen, umso eindrucksvoller
und imposanter war das Panorama, das sich ihnen
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