Eine Socke voller Liebe
allerdings auch riesige
Buchsbäume.
Sie liefen über den weichen Waldboden und hüpften von einem
Stein zum anderen durch einen kleinen Bachlauf. Sie hörten die Vögel zwitschern
und genossen die himmlische Ruhe, die herrliche Natur, das angenehme
Wanderwetter und das Laufen. Die Schultern gewöhnten sich wieder an die
Rucksäcke und die Beine ans Gehen.
Sabine dachte an ihren Traum und an Markus. Und plötzlich war
da neben der Traurigkeit eine erschreckende Leere.
Sie erzählte Andrea davon.
„Mach‘ dir jetzt und hier keine Sorgen. Da oben ist schon
jemand, der auf uns alle aufpasst. Vertraue ihm einfach und gehe deinen Weg.
Ich habe mir schon vor langer Zeit angewöhnt, meine Bitten nach oben zu
schicken, wenn ich mal nicht weiter weiß. So nach dem Motto: Bitte, regel du
das jetzt für mich“, riet sie.
„Und das hilft?“, fragte Sabine ungläubig.
„Es gibt immer Dinge, die wir nicht beeinflussen können.
Zufälle, die wir nicht vorhersehen können. Und manchmal ist es besser
abzuwarten, was passiert, als unüberlegte Entscheidungen zu treffen. Ich
glaube, dieses Urvertrauen steckt in jedem Menschen. Wir müssen es nur
abrufen.“
„Ich habe schon immer deinen Realitätssinn bewundert. Dir
fällt es leicht, Dinge zu akzeptieren, wenn du merkst, dass du sie nicht ändern
kannst.“
„Na, na“, wehrte Andrea jetzt ab, „ganz so einfach geht das
auch nicht immer. Vielleicht ist es manchmal auch leichter, Dinge zu
akzeptieren als zu kämpfen. Wenn ich zum Beispiel daran denke, wie es damals
war, als Magdalena geboren wurde. Ich war so enttäuscht und verletzt von
Benjamin, dass ich jeglichen Kontakt mit ihm vermieden habe und auch kein Geld
von ihm wollte. Briefe, die von ihm kamen, habe ich gleich zerrissen oder
verbrannt. Dass er ja der Vater meines Kindes war und Magdalena später
zwangsläufig nach ihm fragen würde, daran habe ich damals nicht gedacht.“
„Du warst zu sehr verletzt und enttäuscht.“
„Aber ich habe dabei auch nur an mich gedacht. Der Mann war
für mich gestorben. Da bin ich wie ein Elefant. Du weißt ja, dass meine Eltern
damals darauf gedrängt haben, dass ich über einen Anwalt die Zahlung der
Alimente gefordert habe, weil wir das Geld einfach brauchten. Ich hätte das
allein nicht getan. Ich hätte nicht um mein Recht gekämpft. Mein Gott, wenn ich
daran denke! Ich bin mit einem Taschenrechner im Supermarkt einkaufen gegangen,
habe die ermäßigte Ware, die kurz vor dem Verfalldatum war, gekauft und jeden
Pfennig dreimal umgedreht. Es war eine harte Zeit für meine Eltern und mich,
bis er endlich gezahlt hat, und ich mein Studium beendet hatte.“
„Ja, und dann kam ein ereignisreiches Jahr. Du hast deine
erste Arbeitsstelle im Peter-Cornelius-Konservatorium in Mainz bekommen und
Magdalena kam in den Kindergarten. Ich hatte fast mein Referendariat
abgeschlossen, als ich schwanger wurde. Wir haben geheiratet und vier Monate
später ist Felix geboren.“ Sabine schwieg einen Moment, sah ihre Freundin von
der Seite an und fragte dann: „Trifft Magdalena sich eigentlich immer noch mit
ihrem Vater?“
Andrea hatte nicht mit dieser Frage gerechnet und antwortete
zuerst etwas abweisend: „Du weißt, dass ich darüber nicht so gerne spreche.“
Sie sah ihre Freundin an. „Aber ja, seitdem sie ihn mit achtzehn Jahren zum
ersten Mal besucht hat, sehen sie sich ein- oder zweimal im Jahr. Ich weiß es
nicht genau. Magdalena erzählt mir nur sehr wenig von diesen Treffen, und ich
frag sie auch nicht danach. Sie akzeptiert das so. Inzwischen ist er wohl auch
nach langer Trennungsphase von seiner damaligen Frau geschieden. Aber weißt du,
das ist mir alles so egal, wie einem nur etwas egal sein kann. Er hat Unterhalt
gezahlt und Magdalenas Studium mitfinanziert. Und damit ist das Thema Benjamin
für mich erledigt.“ Andrea wirkte einen Moment unentschlossen, bevor sie weitersprach:
„Wo wir gerade dabei sind, muss ich dir aber noch etwas anderes erzählen. Es
geht um meinen Freund Karl-Heinz.“
„Ja, was ist mit ihm?“ fragte Sabine gespannt.
„Als ich mich von ihm verabschiedete, hat er mir einen
Vorschlag gemacht und mich gebeten, auf dem Jakobsweg über eine Antwort
nachzudenken.“
„Jetzt spann mich nicht so auf die Folter. Sag‘ schon, was er
will.“
„Er verlässt zum Ende des Jahres die Verwaltung und geht in
Pension. Weihnachten wird er dreiundsechzig Jahre alt. Er hat mich gefragt, ob
ich mir vorstellen könnte, im nächsten Jahr zu ihm zu
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