Eine Socke voller Liebe
dann nüchtern zu bemerken: „Aber trotzdem fehlt mir noch ein
Pott Kaffee zum vollkommenen Glück.“
In einer kleinen Kirche, die mitten in den Feldern lag und
als Pilgerherberge umfunktioniert war, bekamen sie eineinhalb Stunden später
endlich das ersehnte schwarze Getränk, von dem sie gleich mehrere Tassen
leerten, wohl wissend, dass es Stunden dauern konnte, bis sich wieder eine
solche Gelegenheit bot.
Mit jedem Schritt kamen sie jetzt weiter hinein in die
Meseta. Stoppelfelder, soweit das Auge reichte. Anfangs zeigten sich am
Horizont noch ein paar grüne Hügel, aber irgendwann verschwanden sie, und die
Monotonie der Felder hatte wieder gewonnen. Der Himmel schien auf dieser
Hochebene näher zu sein als anderswo.
Eine wohltuende Augenweide bot sich den Frauen im nächsten
Ort. Sie folgten dem Hinweisschild auf eine Herberge mit Restaurant, denn ihre
Mägen knurrten schon wieder gewaltig.
Durch ein uraltes, halb verfallenes Holztor gelangten sie in
einen paradiesisch anmutenden Garten. Auf einer saftig grünen Wiese standen
riesige Terrakottakübel mit blühenden Sommerblumen, deren bunte Farbenpracht in
der Sonne leuchtete. Ein Kiesweg führte zu einem Gartenteich, aus dem munteres
Gequake zu hören war. Die große, alte Trauerweide daneben spendete Schatten und
neigte ihre dicht belaubten Zweige wie eine Schutzhaube über das Wasser.
Libellen flogen über den Teich und ihre zarten Flügel schimmerten vielfarbig im
hellen Licht.
Viele Pilger saßen auf der Terrasse und erholten sich in
diesem prallen Grün von der eintönigen, gelbroten Landschaft.
Die Freundinnen bestellten Orangensaft und Bocadillos mit Ei
an der Theke und setzten sich an einen kleinen runden Tisch unter einem
blühenden Oleanderstrauch.
Sabine legte ihre Beine neben Andrea auf den Stuhl und strich
vorsichtig über ihren Knöchel.
„Mein Knöchel schmerzt“, jammerte sie, „und ich hätte Lust,
hier zu bleiben. Es ist erst zwölf Uhr. Da gibt es bestimmt noch freie Betten.“
Ein junger Mann servierte ihnen das Essen und stellte die
Getränke auf den Tisch.
Andrea legte den Wanderführer zur Seite, in dem sie
geblättert hatte und biss herzhaft in das dick mit Rührei belegte Brot.
Sie kaute und schluckte, bevor sie antwortete: „Das wäre zwar
schön, aber ich meine, wir sollten weiter laufen. Es geht nämlich bald an einem
Kanal entlang, der mit Bäumen gesäumt ist. Da ist sicherlich auch in der
Mittagssonne Schatten. Oder ist es schlimm, mit deinem Knöchel?“
„Nee, nee, das geht schon. Ich creme ihn gleich mit
Schmerzgel ein.“
„Wir wollen doch in einer Woche in León sein. Wie sollen wir
das schaffen, wenn wir wieder nur zwanzig Kilometer laufen?“ Sabine zögerte
einen Moment, bevor sie zustimmte: „Okay, dann gehen wir halt noch ein Stück.“
Der Wanderführer hatte nicht zu viel versprochen. Die mit
dichtem Laub behangenen Pappeln entlang des Bewässerungskanals spendeten
Schatten und schützten so vor der Mittagssonne.
Wie aus dem Nichts wehte plötzlich ein heftiger Wind. Die
kräftigen Böen wechselten ständig ihre Richtung. Mal drängten sie die
Freundinnen fast vom Weg ab und mal schoben sie sie vor sich her.
Sie nahmen ihre Sonnenhüte in die Hand und hängten sich ein.
Gemeinsam stemmten sie sich mit aller Kraft dem Wind entgegen und stöhnten
dabei vor Anstrengung. Aber schon Sekunden später schob die nächste Böe sie so
stark von hinten an, dass sie im Dauerlauf rannten.
Genauso plötzlich wie er gekommen war, verschwand der Sturm
wieder.
Als sie das große, alte Wehr überquerten und Fromista
erreichten, war es fast windstill.
Auch heute waren ihnen auf der dreißig Kilometer langen
Etappe nur wenig Pilger begegnet. Als sie jedoch in der Stadt über den großen
Platz auf die alte, romanische Kirche zuliefen, wimmelte es dort nur so von
Peregrinos.
Corinna war eine von ihnen. Sie fiel auf zwischen all den
unscheinbar gekleideten Wanderern. Ihr enges, rotweiß gestreiftes Shirt ließ
viel gebräunte Haut und ein hübsches Dekolletee frei und ihre langen,
wohlgeformten Beine guckten aus einem roten Minirock. Sichtlich erfreut über
das Wiedersehen, lief sie schnurstracks auf die Freundinnen zu. Die hellblonden
Haare hatte sie zu zwei lustigen Zöpfen geflochten, die sie sehr jugendlich
aussehen ließen.
Nach einer herzlichen Begrüßung machten sich die drei Frauen
gemeinsam auf den Weg, um sich in einem Refugio einzuquartieren.
19.
Leidensgefährten
Es war fünf Uhr früh, als sich
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