Eine Socke voller Liebe
eine Peregrina im Schlafsaal
leise an ihrem Rucksack zu schaffen machte. Sie gab sich dabei alle Mühe, die
anderen Frauen nicht aufzuwecken. Aber leider gelang ihr das nicht. Andrea
wurde wach. Laut protestierend brummte sie etwas Unverständliches und drehte
sich auf die andere Seite. Sie konnte nicht mehr einschlafen und beschloss
frustriert und verärgert, ebenfalls aufzustehen.
Sie zog sich an und kam mit einem lauten „Guten Morgen“ aus
dem Bad zurück ins Zimmer.
„Was ist denn mit dir los?“, fragte Sabine verschlafen.
Andrea lehnte sich an das obere Etagenbett, auf dem die
Freundin lag. Der Ärger stand ihr ins Gesicht geschrieben, als sie murrte: „Ich
wollte dir nur sagen, dass ich jetzt einen Kaffee trinke und dann gehe.“ Dann
verließ sie den Raum und ihre verdutzt drein blickende Freundin.
„Was soll denn das?“, murmelte Sabine verwundert hinter ihr
her, „willst du jetzt allein weiter laufen?“
Aber die Freundin war schon außer Reichweite, ohne eine
Antwort abzuwarten.
„Lass sie gehen“, mischte Corinna sich vom Nachbarbett ein,
„die hat vielleicht ihren Tiefpunkt. Den kriegt jeder irgendwann mal hier auf
dem langen, beschwerlichen Weg. Du solltest sie einfach in Ruhe lassen. Das
geht vorbei. Wenn du willst, können wir beide ja heute zusammen laufen. Du
triffst deine Freundin schon wieder. Da mache dir mal keinen Kopf.“
„Meinst du, ich sollte sie wirklich allein gehen lassen? Sie
wirkte so unglücklich.“
„Ja, genau deshalb. Wenn sie nicht im Aufenthaltsraum auf
dich wartet, wirst du ihre Entscheidung schon akzeptieren müssen.“
Corinna drehte sich auf die andere Seite und zog ihren
Schlafsack über die Ohren.
Sabine schlüpfte trotz der gut gemeinten Ratschläge schnell
in ihre Wanderhose und verschwand im Bad. Dann stopfte sie ihre Utensilien in
den Rucksack und eilte eine Etage tiefer in den Aufenthaltsraum.
Andrea saß dort allein in einer Ecke, hielt einen Pott Kaffee
in der Hand und stierte Löcher in die Luft. Sabine setzte sich neben die
Freundin.
„Was ist passiert? Möchtest du heute allein gehen?“ fragte
sie besorgt.
„Ja!“ Die Antwort war eindeutig und der Klang ihrer Stimme
duldete keinen Widerspruch. „Mir gehen heute Morgen alle auf den Keks. Dieses
ständige Gerödel in aller Herrgottsfrühe und kaum eine ruhige Nacht. Das nervt
mich total. Ich bin das einfach nicht gewohnt. Schließlich lebe ich allein.“
„Aber die Nacht war doch ruhig“, wagte Sabine einzuwenden,
„hast du trotzdem nicht gut geschlafen?“
„Nein. Ich habe die ganze Nacht wach gelegen, und als ich
dann endlich eingeschlafen bin, fing irgendjemand an zu packen. Ich hätte
denjenigen erwürgen können“, stöhnte Andrea und war den Tränen nahe, als sie
weiterredete, „ach, ich weiß im Moment gar nicht, was das alles soll. Heute ist
nicht mein Tag. Sei mir nicht böse, das hat nichts mit dir zu tun. Aber ich
möchte gerne ein paar Stunden ganz allein sein. Ich warte irgendwo unterwegs
auf dich.“
Sie stand auf und schulterte ihren Rucksack.
„Ist in Ordnung“, antwortete Sabine immer noch verwundert,
„ich frühstücke erst noch und laufe dann mit Corinna.“
Sie nahm ihre Freundin dabei fest in den Arm und schaute
nachdenklich hinter ihr her, als sie den Raum verließ.
Was war los mit Andrea? Andrea, die Disziplinierte, die sich
nie etwas anmerken ließ und immer eisern ihr Ziel verfolgte, war aus dem
Gleichgewicht gekommen. Wo war das unerschütterliche Gottvertrauen geblieben,
um das sie die Freundin schon so oft beneidet hatte?
Sabine holte sich einen Kaffee an der Theke und dazu zwei abgepackte
Magdalenas und dachte nach, während sie auf einem der trockenen Biskuits kaute.
Eine halbe Stunde später wanderte sie mit Corinna über den
Schotterweg, der eine Zeitlang an einer ruhigen Landstraße entlang lief, bevor
er abbog und wieder als einsamer Pilgerpfad durch die Felder führte.
Sabine blickte in die Weite und sah, dass der Feldrain von
der Straße durch eine Mauer getrennt wurde, über der sich leicht gebeugte
menschliche Oberkörper vorwärts bewegten. An ihren Helmen konnte sie erkennen,
dass es sich um eine Gruppe Radfahrer handeln musste.
Sie wies Corinna auf das dahingleitende Spektakel hin. „Schau
mal, dort drüben am anderen Ende des Feldes fahren Radler hinter der Mauer her.
Man kann nur ihre Oberteile sehen, und dadurch sieht es so aus, als würden sie
von einer unsichtbaren Hand gezogen.“
„Wirklich! Sieht gut aus!“, fand
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