Eine Socke voller Liebe
lange Kilometer.
„Weißt du“, begann Sabine, „ich war während des Gottesdienstes
so voller Dankbarkeit und fühle mich jetzt frei und unbesorgt wie noch nie. Das
ist einfach herrlich!“
„Das freut mich für dich“, antwortete Andrea etwas
geistesabwesend, „schön, dass du endlich auf deinem Weg angekommen bist.“
„Gilt das auch für dich? Seit gestern Abend scheinst du mir
ein bisschen verstört.“
„Ach ja? Vielleicht bin ich das ja auch, nach dem was Michael
erzählt hat. Aber nichts desto trotz war diese Messe einfach gigantisch. Die
Musik ist so schön, dass man heulen könnte.“
Mehr war nicht aus ihr herauszubekommen und so wanderten sie
nebeneinander her, beide noch berauscht von den fulminanten Klängen. Manchmal
summte die eine oder andere eine kurze Melodie leise vor sich hin.
Ihr Weg ging weiter unter strahlend blauem Sommerhimmel. Die
Getreidefelder waren bereits abgeerntet und unter den Stoppeln sah man die
rotbraune Erde. Am Wegrain und auf den brach liegenden Feldern leuchteten auch
hier wieder auffällig rote Mohnblumen, die sich wie dicke Farbkleckse abhoben.
Soweit das Auge reichte und egal in welche Himmelsrichtung sie blickten,
überall das gleiche Bild, und der Himmel wie eine Käseglocke darüber.
Wenn es doch nur nicht wieder so heiß wäre!!
Als sie sich nach zwanzig Kilometern und fünf sonnigen
Wanderstunden in einem Refugio anmeldeten, hatte die Herbergsmutter das letzte
freie Bett gerade vergeben. Sie bot den beiden Frauen Notbetten in einer
Sporthalle an. Natürlich sagten sie zu, denn der innere Schweinehund wollte
keine weiteren fünf oder sogar zehn Kilometer laufen.
Unter ihren Füßen knirschte der Sand, der auf dem Hallenboden
lag. Die Matratzen auf den Pritschen waren durchgelegen und fleckig.
Die kurze Überlegung doch noch weiter zu laufen, ließen sie
schnell wieder fallen, nachdem sie einen Blick in den Reiseführer geworfen
hatten: Die nächste Herberge war so alternativ, dass es dort weder Strom noch
fließendes Wasser gab.
Hier gab es immerhin fließendes Wasser, auch wenn es nur
lauwarm aus der Duschtasse tröpfelte.
Als sie zum Abendessen das kleine Dorfrestaurant betraten,
fielen ihre Blicke auf Bernard und Corinna, die an einem Tisch beieinander
saßen.
Andrea und Sabine setzten sich zu ihnen und erfuhren, dass
die attraktive junge Frau mit den hellblonden langen Haaren diejenige war, die
Bernard geholfen hatte, seine Sachen auf ein Minimum zu reduzieren.
„Sie ist mein Schutzengel“, freute sich Bernard, „denn ohne
sie hätte ich schon längst aufgegeben.“
Die beiden hatten sich unterwegs bereits mehrere Male
zufällig wieder getroffen.
Bernards Füße waren inzwischen zwar frei von Blasen, aber er
klagte über schmerzende Gelenke.
„Deshalb ich schaffe nie mehr als fünfzehn Kilometer an ein
Tag. Aber unter die warme Sonne schmilzt mein Fett“, sagte er schmunzelnd, „und
meine Hose schlackert schon. Unterwegs steige ich immer wieder in ein Bus oder
Zug, sonst schaffe ich es nicht. Und manchmal schlafe ich in ein schönes
Hotel.“
„Ich finde das toll, dass du für dich diese Möglichkeit
gefunden hast, den Jakobsweg zu gehen“, bestärkte Andrea den Holländer. Er
machte auf sie ein bisschen den Eindruck eines erwachsenen Jungen, dem sie am
liebsten das Lied vom „Heile Gänsje“ gesungen hätte.
„Ja, jeder muss seine Art des Pilgerns finden und seinen Weg
so gehen, wie es für ihn stimmig ist“, fand auch Corinna.
Im weiteren Gespräch erzählte sie, dass sie in einem
Krankenhaus arbeite.
„Und wir haben dich in Gedanken als Model auf einem Laufsteg
gesehen“, wiederholte Andrea ihre vor Tagen geäußerte Vermutung.
„Ja, ich weiß“, lachte die junge Frau, „aber das wäre kein
Beruf für mich. Obwohl ich mir während meines Studiums wirklich Geld damit
verdient habe. Ich habe für einen Versandhauskatalog mehrere Male Model
gestanden.“
„Hast du Medizin studiert?“
„Ja“, erwiderte sie und wechselte das Thema. „Ich bin
übrigens den Jakobsweg von León bis Santiago vor gut fünfzehn Jahren mit einem
Freund gelaufen. Das war direkt nach dem Abi. Darum gehe ich jetzt nur bis León.“
„Aha, deshalb weißt du also schon so gut Bescheid über das
Pilgern.“
„Diese schmutzige Schlafstätte kann man nur mit ein paar
Promille im Blut ertragen“, meinte Andrea, nachdem sie sich das dritte Glas
Rotwein eingeschenkt hatte. „Ich muss die Bakterien abtöten und die Spinnen
abwehren, die
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