Eine Socke voller Liebe
ihnen ihren ganz besonderen Reiz.
Eine alte Steinbrücke führte über einen kleinen Fluss aus der
Stadt hinaus. Entlang der kaum befahrenen Straße liefen sie nach Calzada de
Coto.
Neben einem Sportplatz stand ein kleines Haus, in dem die
Freundinnen die Umkleidekabinen der Sportler vermuteten. Zu ihrer Überraschung
stellten sie jedoch fest, dass hier eine einfache Herberge untergebracht war.
„Wir müssen uns etwas zu Essen besorgen für heute Abend“,
vermutete Andrea, „hier gibt es kein Restaurant und keine Küche.“
Sie liefen zweimal im Kreis durch den fast menschenleeren
Ort, bis sie endlich einem Menschen begegneten. Und wieder waren sie von der
freundlichen Hilfsbereitschaft überrascht. Der alte Mann begleitete sie durch
das Dorf bis zum Laden.
Dort zeigte nur ein winziges Blechschild an, dass sich hinter
der Haustür ein Geschäft befand. Die Frauen waren bereits zweimal an dem Haus
vorbei gelaufen!
Sie kauften Chorizo, Käse, Tomaten, eine Dose Thunfisch, Brot
und Rotwein ein.
Jeder der fünf Pilger, die sich hier einquartiert hatten,
hatte eingekauft. Alle breiteten am Abend ihre Lebensmittel auf dem großen
Holztisch vor dem Haus aus, um gemeinsam die Vorräte zu verspeisen. Die drei
spanischen Peregrinos sprachen weder englisch noch deutsch und ihren spanischen
Dialekt konnten die Freundinnen nicht verstehen.
Aus diesem Grund bestand die Unterhaltung an diesem
entspannten Abend hauptsächlich aus „mit Händen und Füßen“, und das fröhliche
Gelächter dabei war weithin zu hören.
Mit dem Sonnenuntergang zogen dicke Wolken auf, und es wurde
windig. Als die ersten Regentropfen fielen, raffte die Pilgergruppe ihre
Utensilien zusammen und verschwand zur Nachtruhe in dem kleinen Refugio.
22.
Einsamkeit
Nach der verregneten Nacht schien der Sommer eine Pause machen
zu wollen.
„Keine schlechte Voraussetzung für die lange, schattenlose
und einsame letzte Etappe durch die Meseta, die wir heute vor uns haben“,
resümierte Andrea und forderte Sabine auf: „Hör zu, ich les dir vor, was hier
steht: ‚Landschaftlich ist diese wenig frequentierte und sehr einsame Variante
ein ganz spezielles Erlebnis. Anfangs gleicht sie locker bewachsenen
afrikanischen Steppen, auf der ausgedehnten Hochebene hinter Calzadilla de los
Hermanillos sind dann nur noch in der Ferne schemenhaft Bergketten zu erkennen.
Teilweise sind keine Spuren menschlicher Besiedlung mehr zu sehen. Man fühlt
sich gänzlich allein und ab einem gewissen Punkt mag auch der Glaube fehlen,
überhaupt noch auf eine Ortschaft zu stoßen‘.“
„Aha. Soviel ich weiß, gibt es auch noch eine andere Variante
an der Straße entlang“, erwiderte Sabine, „aber mich reizt diese einsame
Herausforderung.“
„Da sind wir uns einig. Packen wir’s an.“
Die gelben Pfeile führten sie zwei Stunden lang über die
alte, steinige Römerstraße Via Trajana bis nach Calzadilla de los Hermanillos,
wo sie sich mit Verpflegung eindecken wollten. Das Dorf war die einzige
Ansiedlung auf der heutigen Strecke. Als sie einen Dorfbewohner nach einer
Tienda fragten, wurden sie prompt wieder bis zu dem winzigen, alten Haus
begleitet, in dem der kleine Laden war.
„Die Spanier, die uns hier begegnen, geben mir das Gefühl,
etwas Besonderes zu sein. Geht es dir auch so?“ fragte Sabine.
„Ja. Sie freuen sich unwahrscheinlich, wenn sie uns
behilflich sein können und strahlen uns an, wenn wir sie grüßen. Vielleicht,
weil sie glauben, dass wir dann auch von ihren Sorgen und Ängsten ein paar mit
nach Santiago nehmen“, überlegte Andrea.
„Ihre Achtung uns gegenüber ist ehrlich und nicht gekünstelt
oder eigennützig“, entgegnete Sabine, „das würde man merken.“
Sie kauften Proviant und Wasser für die vor ihnen liegenden
zwanzig Kilometer Einsamkeit.
Der kleine Dorfladen war sehenswert: Deckenhöhe knapp 1,80m,
der steinige Fußboden, Decken und Wände waren krumm und schief. Der ebenfalls
sehr kleine, alte Mann hinter der mit Würsten, Käse, Obst und Gemüse voll
beladenen Theke blinzelte sie aus vergnügten Augen an, als er sie nach ihren
Wünschen fragte.
Aus einem Nebenraum holte er ihnen ganz frisches, noch warmes
Baguette; er suchte ihnen die dicksten Oliven aus der Schüssel, wählte ganz
sorgsam zwei Tomaten aus und begutachtete aufmerksam die beiden Pfirsiche,
bevor er sie ihnen reichte. Er schnitt für sie ein dickes Stück Käse vom Laib
und wog es in seiner Hand ab. Dazu kamen noch zwei
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