Eine Socke voller Liebe
ihre Kleidung verliehen ihnen ein wenig die Steifheit
und Würde von Gouvernanten. Über den dunkelblauen Kleidern trugen sie glatt
gebügelte, weiße Schürzen mit einer kleinen Rüschenkante.
Eine der beiden wies ihnen einen Tisch zu und fragte nach
ihren Wünschen, worauf die andere diensteifrig in der Küche verschwand. Während
sie dort den Frühstücksspeck in der Pfanne ausbriet und die Eier hineinschlug,
presste ihre Schwester hinter der Theke mehrere Orangen aus und brühte den
Kaffee auf. Allein der Duft, der daraufhin durch den Gastraum strömte, ließ den
Freundinnen das Wasser im Mund zusammenlaufen.
Die freundliche Bewirtung, das üppige Frühstück und die
gemütliche Umgebung waren so gar nicht typisch für den Jakobsweg, aber das
Beste, was ihnen an diesem Morgen passieren konnte.
Als sie eine gute Stunde später das Café verließen, war die
morgendliche Kälte verschwunden. Der steinige Waldweg führte zwar ständig
bergauf und bergab, aber dafür bescherte er ihnen immer wieder herrliche
Ausblicke auf Ponferrada, deren imposante Templerburg schon von weitem zu sehen
war.
Diese Festung war ihr erstes Ziel, nachdem sie die Altstadt
erreicht hatten. Die gemauerten Zinnen auf der Schutzmauer und die vielen
runden Türme verliehen der Burg aus hellem Sandstein ein märchenhaftes
Aussehen. Leider war eine Besichtigung wegen Bauarbeiten nicht möglich.
„Schade, die hätte ich mir gerne angesehen“, bedauerte
Sabine.
„Wir können halt nicht immer Glück haben“, entgegnete Andrea,
während sie langsam an der Burg vorbei auf die Basilika zugingen. Leise traten
sie in die Kirche ein und waren überrascht von deren Schlichtheit. Die
geschnitzten Holzaltäre waren nicht mit Goldschmuck überladen, wie in vielen anderen
Kirchen auf dem Jakobsweg.
Nach einem kurzen Rundgang setzten sich Andrea und Sabine vor
den Marienaltar. Die Skulptur mit dem liebevollen, dunklen Gesicht hielt ihr
Kind dem Volk entgegen. Die Spanier nannten sie „la Morenica“, die kleine
Braune.
Die Pilgerinnen saßen schweigend nebeneinander. Und wieder
war da dieses intensive Gefühl der Dankbarkeit, dass ihnen Tränen in die Augen
traten. Danke Gott, für diesen Weg.
Andrea neigte sich zu Sabine und flüsterte: „Geht es dir hier
auch wieder so fürchterlich gut?“
„Ja“, flüsterte sie zurück und hakte ihren Arm liebevoll
unter den ihrer Freundin. Plötzlich wurden sie durch lautes Weinen und
Wehklagen aus ihrer glückseligen Stimmung herausgerissen. In einer der hinteren
Bänke saß ein Mann, der die Hände vor sein Gesicht hielt, laut weinte und
schrie. Seine Kleider waren alt, zerrissen und verschmutzt.
„O Gott, was mag dem denn passiert sein?“, wollte Sabine
gerne wissen.
„Vielleicht ist jemand gestorben, der ihm sehr nahe stand“,
überlegte Andrea, „das Jammern und Weinen hört sich jedenfalls schrecklich an.“
Vorbei war es mit der Andacht. Die Freundinnen verließen die
Kirche. Gelbe Pfeile und Muscheln kennzeichneten den Pilgerweg weiter durch die
schöne Altstadt. Eine zweite Kaffeepause auf dem Marktplatz war
selbstverständlich. Sie beobachteten von ihrem Platz aus das geschäftige
Treiben. Zwischen den Ständen waren Biertische aufgebaut, an denen dicht
gedrängt die spanischen Besucher saßen und frisch gebrühte Pulpo gallego
verspeisten.
„Ich schaue mir mal an, wie die Pulpos zubereitet werden;
vielleicht wäre das ja auch für uns ein Mittagessen“, sagte Andrea und stand
auf, um sich den großen Topf, in dem die langen, glitschigen Fangarme der
Kraken gekocht wurden, aus der Nähe anzusehen. Er war voll mit roter Brühe.
„Sieht aus wie Blutsuppe“, erzählte sie Sabine, als sie
wieder Platz genommen hatte, „das könnte ich nicht essen. Auch wenn es eine
besondere Delikatesse ist.“
„Jetzt schau doch mal, wie der Koch die Pulpos serviert. Ne,
da wird mir ja beim Hingucken schon schlecht.“
Sabine hielt sich die Hand vor den Mund und zog eine Fratze.
Der Koch schnappte sich die schlangenähnlichen Gebilde mit
einer Zange aus dem Topf und schnitt sie in Windeseile mit einer Schere in
kleine Stücke, die auf einen großen Holzteller fielen. In einem ungeheuren
Tempo streute er grobes Salz, Olivenöl und Paprikapulver darüber, reichte den
Teller der Serviererin und fischte sich die nächsten Arme aus der Blutsuppe.
„Also nix mit Mittagessen“, stellte Sabine fest, „nach dem
guten Frühstück reicht es doch auch aus, wenn wir uns hier mit frischem Obst
eindecken
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