Eine Spur von Lavendel (German Edition)
vollkommen betäubt vom Schmerz zu sein.
Am Tag von Annelieses Verhaftung hatte sie Tränen in seinen Augen gesehen, weil er geglaubt hatte, sie, Linda, würde ihn wegen seiner Ermittlung verlassen. Dieses Mal hatte er still in ihrem Arm geweint – und es hatte ihr fast das Herz zerrissen. Trotz all der Trauer war sie aber auch unendlich froh darüber, dass er sich ihr öffnete und ihr so die Möglichkeit gab, für ihn da sein zu können. Frank hätte ihr gegenüber niemals so offen seine innersten Gefühle gezeigt.
Jetzt saß Alexander weiterhin stumm in seinem Sitz und starrte hinaus in die dichten Wolken, bis er schließlich von einer Sekunde auf die andere in einen erschöpften Schlaf fiel.
Linda wandte sich an Tobias, der auf der anderen Seite neben ihr saß. „Ich danke dir, dass du ihn jetzt nicht alleinlässt“, flüsterte sie ihm zu.
Er schloss kurz seine Augen und neigte den Kopf. „Er würde das Gleiche sicher auch für mich tun, Linda. Es ist wichtig, dass wir beide, du und ich, jetzt die Übersicht behalten.“
Ihr Blick hob sich. „Die Kinder, Tobias! Ich darf noch gar nicht an die Kinder denken.“
„Ich weiß. Sie sind noch so verflucht klein.“
„Warum passiert so etwas nur?“
Ruhelos ließ Tobias seinen Blick durch die Kabine wandern, als würde er etwas Bestimmtes suchen. „Das kann dir niemand beantworten, Linda, aber ich weiß, dass ihre Seelen jetzt so zerbrechlich sind wie feinstes Porzellan.“
Prüfend sah sie ihm in die Augen, aber es bedurfte keiner weiteren Frage. Tobias nickte. „Ja, ich weiß, wovon ich spreche. Meinen Vater lernte ich niemals kennen. Als meine Mutter an Lungenkrebs starb, war ich sieben Jahre alt. Genauso alt wie Richard heute.“
„Ich war zwölf, als meine Eltern starben. Es war auch ein Unfall, ein Flugzeugabsturz. Sie waren auf ihrem Weg in die ersten Ferien, die sie ohne mich verbringen wollten. Mein Onkel kümmerte sich von da an um mich.“
Tobias nahm ihre Hand. „Ich wusste bereits, dass wir zwei diese schlimme Erfahrung teilen. Alexander hat mir einmal davon erzählt. Ich wuchs auch bei Verwandten auf, bei einer Tante. Sie hat es mir zum Glück nicht an Zuneigung fehlen lassen, aber es gibt viele Kinder, die in einem Heim landen, wenn so ein schreckliches Unglück geschieht. Ich bin meiner Tante noch heute unendlich dankbar. Ich glaube, jedes Kind hat eine tief verwurzelte Angst vor diesen Waisenhäusern.“
Linda verfiel eine Weile in nachdenkliches Schweigen, dann schaute sie noch einmal zu Alexander, aber er schlief fest.
„Das ist die Erschöpfung, Linda. Er ist völlig am Ende. Sein Körper hat die Notbremse gezogen. Das Nickerchen wird ihm sicherlich guttun.“
„Ja, das glaube ich auch.“
„Und wie geht es dir, Linda?“
Sie seufzte. „Es geht schon. Allerdings mache ich mir auch große Sorgen um Charlotte, wenn ich ehrlich bin. Sie hat in ihrem jungen Leben ja schon so einiges wegstecken müssen, aber so furchtbar traurig habe ich sie noch nie zuvor erlebt. Sie war richtig außer sich vor Kummer. Normalerweise verkraftet sie so etwas viel besser. Vielleicht hat diese Sache das Fass einfach zum Überlaufen gebracht. Ich bin doch sehr unsicher, ob es richtig gewesen ist, sie allein zu lassen.“
Verständnisvoll lächelte Tobias. „An eurem Hochzeitstag habe ich mitbekommen, auf welche Weise deine Tochter Henri angesehen hat.“
Wieder entwich ihr ein tiefes Seufzen. „Ach, du hast das bemerkt? Ja, sie war furchtbar verliebt.“
„Monika hat mich darauf aufmerksam gemacht. Ihr Frauen habt ja oft einen sicheren Blick für so etwas. Charlie hat deinen Schwager mit der gleichen glühenden Sehnsucht angesehen wie eine Fünfjährige ein großes, gut gefülltes, aber leider unerreichbares Bonbonglas.“ Tobias tätschelte Lindas Arm. „Mach dir keine zu großen Sorgen um sie, Linda. Monika weiß genau, was sie tun muss. Sie ist ja selber noch ein halber Teenager. Vertrau ihr. Meiner Meinung nach ist es sogar besser, dass du dich jetzt nicht auch noch um Charlotte kümmern musst. Die eigenen Mütter sind bei solchen Gelegenheiten oft viel zu emotionsgeladen.“
Linda verzog die Lippen zu einem winzigen Lächeln. „Wahrscheinlich hast du recht. Monika ist die Bessere für den Job.“ Traurig schüttelte sie ihren Kopf. „Meine arme Kleine! Sie tut mir so leid. Soweit ich weiß, war sie noch niemals zuvor in jemanden verliebt.“
„Der Schmerz wird bald nachlassen, Linda. Sie ist noch so jung.“
Die Durchsage des
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