Eine Spur von Lavendel (German Edition)
vor Nicoles Geburt gestanden.“
„Sie hat es dir erzählt? Einfach so?“
„Ja, wir … hatten ein sehr vertrauensvolles Verhältnis zueinander. Das ergibt sich von ganz allein, wenn zwei Frauen, die sich sehr mögen, unter einem Dach zusammenleben. Adrienne wusste, dass sie sich auf mich verlassen konnte.“ Sie schluckte. „Aber auch das geschah, einige Jahre bevor ihr beide euch kennengelernt habt, oder? Dich hat er nie betrogen.“
Linda nickte widerwillig. „Darum geht es auch nicht. Entscheidend ist, dass er einfach nicht von ihr lassen konnte, Claudine. Alexander ist … er ist der korrekteste und ehrlichste Mensch, den ich kenne, trotzdem hat er seinen Bruder betrogen, und dafür muss er einen triftigen Grund gehabt haben.“
„Oh ja, den hatte er in der Tat, Linda! Viele Gründe sogar. Setz dich, ich werde dir etwas über meine beiden Söhne erzählen. Glaub mir bitte, wenn ich dir sage, dass mir das nicht leichtfällt, denn ich missbrauche damit das Vertrauen von ihnen beiden – und auch das von Adrienne. Ich werde dir ihre Geschichte aus meiner Sicht erzählen. Vielleicht eröffnet dir das ja noch eine neue Seite der Tragödie.“
Wortlos ließ Linda sich zurück auf das Sofa fallen und sah ihre Schwiegermutter mit großen, erwartungsvollen Augen an.
Claudine setzte sich ihr gegenüber in einen der riesigen geblümten Ohrensessel. „Du hast absolut recht, wenn du sagst, Alex ist ein korrekter und ehrlicher Mensch. Ich habe nie wieder jemanden kennengelernt, der so zuverlässig und anständig ist wie er. Es liegt ihm einfach im Blut. Schon in der Schule war er immer erfolgreich und immens fleißig. Niemals hat er seinem Vater und mir echten Kummer bereitet, noch nicht einmal während der Pubertät.“
Ein leichtes Lächeln huschte über Claudines Gesicht. „Seine Abiturnote war vorbildlich, und wir nahmen an, dass er einer glänzenden Karriere als Jurist entgegensehen würde, aber leider dachte Alexander gar nicht daran, zu studieren. Schon während der Schulzeit hatte er sich in den Kopf gesetzt, Polizist zu werden. Er hat seinen Vater sehr verehrt und wollte einfach sein wie er. Zunächst war ich natürlich außer mir vor Enttäuschung,aber ich war dennoch immer stolz auf ihn, das musst du mir glauben.“
Ihre Augen wurden feucht. „Das soll übrigens jetzt nicht heißen, dass ich den Beruf meines Mannes nicht geachtet hätte, im Gegenteil. Mein Mann war ein guter Polizist, und ich habe ihn für seine Arbeit bewundert. Ich hatte mir eben nur eine akademische Laufbahn für meinen Ältesten vorgestellt, weil ich der Meinung war, dass es zu ihm passte.“
Wieder lächelte sie. „Henri war zeit seines Lebens ganz anders. Er war ein freches, ungezogenes Kind. Durch die Schule kam er eher schlecht als recht und brach sie auch noch kurz vor dem Abitur einfach ab, um in eine Lehre als Koch zu gehen. Mit unserem jüngeren Sohn hatten wir jede Menge Probleme, aber ich liebte ihn abgöttisch, und Alexander und mein Mann warfen mir oft vor, ich würde ihn vorziehen und schrecklich verhätscheln. Ich nehme an, sie hatten nicht immer ganz unrecht damit. Henri wurde zunehmend rebellisch und gefährlich rücksichtslos. Seine Ausstrahlung hingegen war enorm. Sie lag irgendwo zwischen Engel und Teufel. Unberechenbar eben. Genau diese Aura war es, die ihn aber auch für viele Frauen so unwiderstehlich machte.“
Obwohl Linda diesen Teil der Geschichte schon von Alexander kannte, hörte sie gebannt zu. Es war ihr niemals etwas wichtiger gewesen, als so viel wie nur möglich über ihren Mann zu erfahren.
Ein kurzes bitteres Lachen entglitt Claudines Kehle, bevor sie weitersprach. „Als Henri aus Paris zurückkehrte und Alexander ihm voller Stolz Adrienne präsentierte, sah ich auf den ersten Blick, dass die Katastrophe damit ihren Anfang nahm. Adriennes Augen leuchteten auf, als sie Henri ansah, und er flirtete hemmungslos mit ihr und wickelte sie mühelos um seinen kleinen Finger. Schon nach kurzer Zeit wunderte ich mich, dass Alexander so ahnungslos und vor allem so ruhig blieb.“
Claudine erhob sich und ging hinüber zum Fenster, schob die Spitzengardine beiseite und starrte in die Dunkelheit hinaus. „Später erfuhr ich, dass er noch nicht einmal bemerkt hatte,welche enorme Anziehungskraft Henri auf Adrienne ausübte. Das war so typisch für Alex. Nicht im Traum hätte er daran gedacht, dass sein Bruder es darauf anlegen könnte, ihm die Frau auszuspannen. Du weißt ja, wie furchtbar die
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