Eine Spur von Lavendel (German Edition)
sich an den großen Küchentisch aus Fichtenholz. Der Duft von Lavendel war hier fast betäubend. Überall hingen trockene und frische Sträuße von den Holzbalken der Decke herab. Typisch Mama, dachte er.
„Henri wird sicher bald hier sein. Er ist noch in den Weinbergen“, erklärte Adrienne, während sie ein kaltes Bier aus dem Kühlschrank nahm und es ihm reichte. „Und deine Mutter ist in Toulon. Sie wollte natürlich unbedingt noch zum Friseur.“
In stillem Einvernehmen lächelten sie sich an. Seine Schwägerin ließ sich auf dem Stuhl ihm gegenüber nieder und betrachtete aufmerksam sein Gesicht. „Du siehst … irgendwie verändert aus, Alex. Ist alles in Ordnung mit dir?“
Ihre Frage verwunderte ihn nicht. Adrienne kannte ihn besser als die meisten Menschen in seiner direkten Umgebung. „Du kommst noch immer gleich auf den Punkt, nicht wahr, Reny?“
„Nun, deine Augen wirken ein wenig traurig.“
„Wir haben uns Weihnachten zuletzt gesehen. Das ist einige Monate her, vielleicht bin ich einfach nur älter geworden.“
Sie verzog ihr hübsches Gesicht zu einer Grimasse. „Du wirst schon mit mir reden, mon cher . Verlass dich drauf.“
Er lachte und trank in einem Zug den Rest seines Bieres aus.
Das Geräusch der zufallenden Haustür ließ sie beide aufblicken.
Jede Begegnung mit Henri stellte auch nach all den Jahren noch immer eine kleine Herausforderung für Alexander dar. Er konnte nur erahnen, dass es seinem jüngeren Bruder nicht viel anders erging, wenn sie sich trafen. Dennoch war Alexander froh darüber, dass auch Henri sich enorme Mühe gab, die alte Vertrautheit zwischen ihnen wiederherzustellen. Alexander holte also noch einmal tief Luft und bereitete sich innerlich auf die nächsten Minuten vor.
Ein schlanker hochgewachsener Mann mit dunkelbraunem Haar und schiefergrauen blitzenden Augen stand, mit Alexanders Gepäck beladen, in der Küchentür und grinste breit von einem Ohr zum anderen.
„Willkommen, großer Bruder!“
Am nächsten Tag reisten die letzten Gäste ab. Claudine Hellberg hatte diesmal peinlich genau darauf geachtet, dass zum Ausklang des Sommers das Haus ausschließlich der eigenen Familie vorbehalten war, auch weil sie gewusst hatte, dass Alexanders Besuch eben in diese Zeit fallen würde.
Adrienne hatte die belgische Familie, deren Auto sie jetzt lächelnd hinterherwinkte, noch mit einem großen Lunchpaket für die Fahrt versorgt und wartete geduldig, bis der Wagen außer Sicht war. Dann drehte sie sich mit ausgestreckten Armen einmal um die eigene Achse und jubelte: „Juhu! Endlich Urlaub!“
Alexander, der es sich mit einem Buch auf der unteren Veranda gemütlich gemacht hatte, lächelte über die kindliche Begeisterung seiner Schwägerin. „Dann komm her und trink mit mir noch einen Kaffee, Reny.“
Sie stemmte ihre Hände in ihre schmale Taille und deutetestrahlend ein paar Tanzschritte in seine Richtung an. „Ich muss noch die Gästebetten abziehen.“
Er winkte ab. „Ach, das kannst du doch auch noch später tun. Komm schon, sei endlich mal ein bisschen nachlässig.“
„Hör auf ihn, Reny.“ Claudine steckte ihren Kopf aus dem Küchenfenster. „Die Arbeit läuft uns doch nicht davon. Ich werde heute das Kochen übernehmen, und du ruhst dich den ganzen Tag nur aus und lässt dich von uns verwöhnen.“
Adrienne schenkte auch ihrer Schwiegermutter ein strahlendes Lächeln und sprang die Stufen zur Veranda hoch. Claudine nickte zufrieden. Ihr Kopf verschwand sogleich wieder im Inneren der Küche, und sie schloss das Fenster.
„Eure Mutter ist einfach immer gut gelaunt, Alex. Beneidenswert. Ich habe lange nicht mehr erlebt, dass sie auf jemanden richtig böse gewesen ist.“
Alexander schenkte seiner Schwägerin eine Tasse Kaffee ein und schüttelte dabei seinen Kopf. „Ich bin ja auch ziemlich selten hier.“
„Ach, du Dummkopf! Du weißt genau, dass sie auch dir nicht wirklich böse sein kann. Ihr Herz ist aus reinem Gold und voller Liebe für dich, glaub mir.“
Sein Blick war deutlich zweifelnd. „Sie hat mir bis heute nicht verziehen, dass ich damals zur Polizei gegangen bin, statt Jurist zu werden, so wie sie es gerne gesehen hätte.“
Adrienne nahm ihre Tasse auf und setzte sie kurz an die Lippen. „Ich glaube, viel schlimmer ist es für sie, dass du noch immer alleine bist, chouchou .“
Alexander zuckte kurz zusammen, denn sie hatte dieses spezielle Kosewort schon lange nicht mehr für ihn benutzt. Etwas irritiert griff
Weitere Kostenlose Bücher