Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Spur von Verrat

Eine Spur von Verrat

Titel: Eine Spur von Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
für einen unaufdringlichen Gentleman von unbeflecktem Ruf als Bibliothekarin arbeiten würde.
    »Ich halte diese Untätigkeit nicht länger aus«, schrieb sie.
    »Tag für Tag hier herumzusitzen und auf den Prozeß zu warten, ohne dabei die Geduld oder den Verstand zu verlieren, übersteigt bei weitem meine Kraft.«
    Auch Hester machte sich Sorgen, wo sie ihre nächste Anstellung finden würde. Sie hatte gehofft, Major Tiplady wüßte vielleicht einen frisch verletzten oder gesundheitlich angeschlagenen Soldaten, der ihre Dienste benötigen könnte, doch er hatte sich extrem unkooperativ gezeigt. In letzter Zeit galt seine gesamte Aufmerksamkeit anscheinend den Carlyons und der Ermordung des Generals.
    Als sie ihn jedoch bat, am kommenden Tag zu Edith fahren zu dürfen, erhob er keinerlei Einwände; er schien sogar regelrecht darauf zu brennen.
    So saß sie also am fünften Juni zur Mittagszeit in Ediths Wohnzimmer und erörterte mit ihr die unterschiedlichen Möglichkeiten. In Betracht kam nicht nur eine Stellung als Bibliothekarin, sondern auch als Gesellschafterin, sollte sich eine Dame mit entsprechendem Bedarf und Charakter auftreiben lassen. Notfalls wäre sogar das Unterrichten von Fremdsprachen eine Überlegung wert, wenn sonst nichts blieb.
    Sie gingen immer noch die einzelnen Alternativen durch und suchten nach neuen, als zu Tisch gerufen wurde, woraufhin sie sich schnurstracks nach unten begaben. Im Salon stießen sie auf Dr. Hargrave. Er war schlank, ausgesprochen groß und noch eleganter, als Hester ihn sich aufgrund Ediths kurzer Beschreibung ohnehin vorgestellt hatte. Felicia machte sie miteinander bekannt, und einen Augenblick später erschien Randolf auf der Bildfläche, begleitet von einem hübschen blonden Jungen mit verschlossener Miene. Seine Züge waren noch kindlich weich, sein Haar kräuselte sich über der Stirn, seine blauen Augen blickten wachsam und vorsichtig. Auch er wurde vorgestellt, obschon Hester keinen Zweifel hegte, daß es sich um Cassian Carlyon handelte, Alexandras Sohn. »Guten Tag, Cassian«, sagte Hargrave höflich und lächelte ihn freundlich an.
    Cassian ließ die Schultern hängen und rieb seinen linken Fuß am rechten Knöchel. »Guten Morgen, Sir.« Er lächelte zurück. Hargrave ignorierte die anwesenden Erwachsenen und konzentrierte sich voll und ganz auf den Jungen. Er sprach mit ihm, als wären sie allein, ganz von Mann zu Mann.
    »Na, alles in Ordnung? Fühlst du dich wohl hier? Wie ich höre, hat dein Großvater dir eine schöne Sammlung Zinnsoldaten geschenkt.«
    »Ja, Sir. Wellingtons Armee bei Waterloo«, antwortete Cassian. Endlich kam doch so etwas wie Leben in sein blasses Gesicht. »Großvater war nämlich in Waterloo dabei, haben Sie das gewußt? Er hat’s wirklich mit eigenen Augen gesehen, ist das nicht toll?«
    »Und wie«, beeilte Hargrave sich zu bestätigen. »Er kann dir sicher jede Menge spannende Geschichten erzählen.«
    »O ja, Sir! Er hat den französischen Kaiser gesehen, stellen Sie sich das mal vor. Ein richtig komischer Kauz mit einem Hut mit aufgebogener Krempe und ziemlich klein, wenn er nicht gerade auf seinem weißen Pferd saß. Und der Eiserne Duke war ein ganz großartiger Mann, hat er gesagt. Ich war so gern dabeigewesen!« Er ließ die Schultern wieder hängen und lächelte zaghaft, den Blick unverwandt auf Hargraves Gesicht gerichtet. »Sie etwa nicht, Sir?«
    »Doch, in der Tat«, stimmte Hargrave zu. »Aber ich bin ganz sicher, daß es in Zukunft noch jede Menge ruhmreiche Schlachten geben wird, in denen du kämpfen kannst. Du wirst Ereignisse miterleben, die die Geschichte verändern, und große Männer kennenlernen, die an einem einzigen Tag ganze Nationen gewinnen oder verlieren.«
    »Glauben Sie wirklich, Sir?« Für einen kurzen Moment lag ungetrübte Begeisterung in seinen groß gewordenen Augen, während eine Vision von Glanz und Herrlichkeit vor seinem Geist ablief.
    »Warum denn nicht?« fragte Hargrave unbekümmert. »Die Welt steht uns offen, und das Empire wird Jahr für Jahr größer und faszinierender. Wir besitzen bereits ganz Australien, Neuseeland und Kanada. In Afrika haben wir Gambia, Sierra Leone, die Goldküste und Südafrika; in Indien die nordwestliche Provinz, Bengalen, Oudh, Assam, Arakan, Mysore und den ganzen Süden inklusive Ceylon, dazu Inseln in allen Teilen der Weltmeere.«
    »Ich bin mir nicht sicher, ob ich überhaupt weiß, wo das alles liegt, Sir«, sagte Cassian mit ehrfürchtiger

Weitere Kostenlose Bücher