Eine Spur von Verrat
angespanntes Gesicht und ihre glitzernden Augen aufmerksam beobachtete, war sicher, daß sie zum einen liebend gern wissen wollte, was Peverell vor Gericht zu sagen gedachte. Zum anderen verwies sie ihn warnend auf die unsichtbaren, zu Loyalität und Verantwortungsgefühl verpflichtenden Familienbande, die zu stark waren, um durch einen einzigen Zwischenfall auf die Probe gestellt oder zerrissen werden zu können.
»Mir ebenfalls, Schwiegermama«, stimmte er zu.
»Wahrscheinlich will man lediglich von mir wissen, wer wann wo gewesen ist. Und vielleicht die Bestätigung, daß Alex und Thaddeus offensichtlich eine Meinungsverschiedenheit hatten – sowie daß Louisa mit Thaddeus allein nach oben ging, woraufhin Alex ziemlich außer sich war.«
»Das willst du sagen?« fragte Edith entsetzt.
»Mir wird nichts anderes übrigbleiben, wenn man mich danach fragt«, meinte er ein wenig kleinlaut. »Es ist die Wahrheit.«
»Aber Pev…«
Er lehnte sich vor. »Das ist ihnen nicht neu, Edith. Maxim und Louisa waren da, sie werden dasselbe bezeugen. Genau wie Fenton Pole, Charles und Sarah Hargrave…«
Damaris wurde leichenblaß. Edith vergrub das Gesicht in den Händen.
»Das wird grauenhaft!«
»Selbstverständlich wird es grauenhaft«, bestätigte Felicia dumpf. »Deshalb müssen wir uns auch sorgfältig überlegen, was wir aussagen werden. Wir dürfen nichts Boshaftes oder Charakterloses von uns geben – was immer wir auch empfinden mögen –, müssen uns strikt an die Wahrheit halten, die Fragen genau und präzise beantworten und zu keiner Zeit vergessen, wer wir sind!«
Damaris schluckte krampfhaft.
Cassian starrte sie mit riesengroßen Augen und offenem Mund an.
Randolf richtete sich ein wenig auf.
»Wir dürfen auf keinen Fall unsere persönliche Meinung zum Ausdruck bringen«, fuhr Felicia fort. »Vergeßt nicht, daß die Regenbogenpresse jedes einzelne Wort – wahrscheinlich verzerrt wiedergeben wird. Das Urteil könnt ihr nicht beeinflussen, eure Haltung und eure Ausdrucksweise jedoch sehr wohl. Seht zu, daß ihr nicht lügt, keine Ausflüchte anbringt, nicht kichert, ohnmächtig werdet, in Tränen ausbrecht oder eurem Namen sonstwie Schande macht, indem ihr euch nicht wie die Damen von Stand benehmt, die ihr seid – beziehungsweise Herren, wie in diesem speziellen Fall. Zwar ist Alexandra diejenige, die auf der Anklagebank sitzt, aber unsere ganze Familie wird auf dem Prüfstand stehen.«
»Ich danke dir, meine Liebe.« Randolf betrachtete sie mit einer Mischung aus Verbundenheit, Dankbarkeit und sonderbarer Ehrfurcht, die Hester für einen verrückten Moment beinah an Angst zu grenzen schien. »Du hast wie immer genau das richtige getan.«
Felicia schwieg. Ein Hauch von Schmerz geisterte über ihre maskenhaften Züge, war jedoch sogleich wieder verschwunden. Sie schwelgte nicht in derartigen Gefühlen; sie konnte es sich nicht leisten.
»Ja, Mama«, versicherte Damaris ergeben. »Wir werden unser Bestes tun, um unsrer Pflicht mit Würde und Aufrichtigkeit nachzukommen.«
»Du wirst kaum eine Vorladung erhalten«, sagte Felicia, aber ihre Stimme wurde ein wenig weicher. Ihre Blicke kreuzten sich für einen Moment. »Man wird jedoch zweifellos Notiz von dir nehmen, solltest du freiwillig zur Verhandlung erscheinen, und dann dauert es gewiß nicht mehr lange, bis irgendein Übereifriger dich als eine Carlyon erkannt hat.«
»Gehe ich auch hin, Großmutter?« fragte Cassian mit aufgewühlter Miene.
»Nein, mein Lieber, auf gar keinen Fall. Du wirst hier bei Miss Buchan bleiben.«
»Rechnet Mama nicht damit, daß ich komme?«
»Nein. Sie möchte bestimmt, daß du zu Hause bist, wo es dir gutgeht. Wir werden dir alles Wichtige erzählen.« Felicia konzentrierte sich wieder auf Peverell und besprach mit ihm das Testament des Generals. Es war ein leicht verständliches Dokument, das nur geringer Erklärung bedurfte, und wurde vermutlich nur deshalb von ihr zur Sprache gebracht, um alle anderen Themen endgültig abzuschließen.
Man widmete sich wieder dem Essen, das bis dahin rein mechanisch vonstatten gegangen war. So hatte Hester denn auch nicht die leiseste Ahnung, wie viele oder welche Gänge bislang aufgetragen worden waren.
Ihre Gedanken kreisten um Damaris und die intensive, fast leidenschaftliche Gefühlsaufwallung, die sich in ihrer Miene abgezeichnet hatte: der plötzliche Umschwung von Betroffenheit über Verwunderung in Furcht, dann der tiefe Schmerz.
Laut Monk hatten mehrere Personen
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