Eine Spur von Verrat
bestätigt, daß sie sich am Mordabend in einem an Hysterie grenzenden emotionalen Aufruhr befunden hatte und Maxim Furnival gegenüber ausgesprochen beleidigend gewesen war.
Warum? Peverell schien weder den Grund dafür zu kennen, noch hatte er ihr Trost oder Beistand bieten können.
War es denkbar, daß sie von einer bevorstehenden Gewalttat, vielleicht sogar dem Mord gewußt hatte? War sie am Ende gar Zeugin des Vorfalls geworden? Nein – niemand hatte der Szene beigewohnt, und Damaris war schon lange, bevor Alexandra Thaddeus nach oben gefolgt war, von irgend etwas furchtbar gequält worden. Und warum dieser Groll auf Maxim?
Kannte sie möglicherweise das wahre Motiv für den Mord, wenn die unsinnige Eifersucht tatsächlich ausfiel, auf die Alexandra sich so versteift hatte? Hatte sie in dem Fall vorausgesehen, worin das Ganze enden würde?
Wieso hatte sie nichts gesagt? Wieso hatte sie nicht darauf vertraut, es mit Peverells Hilfe verhindern zu können? Daß Peverell keine Ahnung von ihrem Problem hatte, war offensichtlich; die Art, wie er sie ansah, wie er zum Sprechen ansetzte und dann jäh verstummte, sprach Bände.
War es dasselbe Grauen, derselbe Zwang oder dieselbe Furcht, die Alexandra selbst im Angesicht des Galgenbaums schweigen ließ? Fast wie betäubt erhob sich Hester von ihrem Platz und ging gemeinsam mit Edith langsam zu deren Wohnzimmer hinauf. Damaris und Peverell bewohnten einen eigenen Flügel des Hauses und zogen es größtenteils vor, sich dort aufzuhalten, statt mit dem Rest der Familie in den Gemeinschaftsräumen zusammenzusitzen. Hester fand ohnehin, daß es außerordentlich geduldig und aufopferungsvoll von Peverell war, überhaupt in Carlyon House zu leben; doch vielleicht fehlten ihm die Mittel, um Damaris anderswo einen vergleichbaren Lebensstil bieten zu können. Es war schon ein merkwürdiger Zug an Damaris, daß sie lieber hier in diesem Überfluß verharrte, als sich – um den relativ geringen Preis eines bescheidenen Haushalts – für Unabhängigkeit und Privatsphäre zu entscheiden. Da Hester sich jedoch mit einem Leben in Luxus nicht auskannte, konnte sie nur schlecht beurteilen, wie groß die Gefahr der Abhängigkeit war.
Sobald die Tür hinter ihnen zugefallen war, warf Edith sich auf das größte Sofa und setzte sich ohne Rücksicht auf elegante Haltung oder ruinierte Röcke in den Schneidersitz. Ihr denkwürdiges Gesicht mit der Hakennase und dem weichen Mund war hochgradig bestürzt.
»Hester, das wird furchtbar!«
»Sicher«, bestätigte diese ruhig. »Wie immer der Prozeß auch ausgehen mag, er wird scheußlich. Ein Mensch wurde ermordet. Das kann nur eine Tragödie sein, egal, wer es getan hat oder aus welchem Grund.«
»Ja, warum.« Edith umschlang ihre Knie und starrte auf den Boden. »Nicht einmal das wissen wir, stimmt’s.« Es war keine Frage.
»Wir nicht«, sagte Hester nachdenklich, während sie die Freundin aufmerksam beobachtete. »Aber hältst du vielleicht für möglich, daß Damaris es weiß?«
Edith schreckte hoch und starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an. »Damaris? Wieso? Wie sollte sie? Warum sagst du das?«
»Irgend etwas hat sie an jenem Abend stark belastet. Sie war vor Erregung wie rasend – fast hysterisch, heißt es.«
»Wer behauptet das? Pev hat nichts dergleichen erwähnt.«
»Er scheint den Grund dafür auch nicht zu kennen«, gab Hester zurück. »Laut Monks Nachforschungen war Damaris jedenfalls schon recht früh – lange bevor der General ermordet wurde – so außer sich, daß sie sich kaum noch beherrschen konnte. Ich weiß nicht, warum ich jetzt erst daraufkomme, aber vielleicht kannte sie das Motiv für den Mord. Vielleicht hat sie sogar befürchtet, daß einer geschehen würde.«
»Aber wenn sie damit gerechnet hat…« Ediths Gesicht füllte sich mit Besorgnis und aufkommendem Entsetzen. »Nein – sie hätte es verhindert! Soll – soll das etwa heißen, Damaris hätte etwas mit der Sache zu tun?«
»Nein. Überhaupt nicht«, beruhigte Hester sie schleunigst.
»Ich meine nur, daß sie vielleicht geahnt hat, was passieren würde, weil das, was ihr so furchtbar zu schaffen machte, möglicherweise dasselbe war, was Alexandra zu der Tat veranlaßt hat. Und wenn dieser Grund derartiger Geheimhaltung bedarf, daß Alexandra lieber stirbt, als ihn preiszugeben, würde Damaris ihre Gefühle vermutlich respektieren und das Geheimnis wahren.«
»Ja«, sagte Edith bedächtig. Sie war leichenblaß. »Ja, das würde
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