Eine Spur von Verrat
Anteilnahme ausdrücken. Es ist wunderbar, wenn ein Mensch so sehr bewundert worden ist.«
»Er wurde mehr als bewundert«, korrigierte Felicia hastig.
»Er wurde geliebt.«
»Die Nachrufe waren ausgezeichnet«, warf Peverell ein. »Nur wenigen Männern ist nach ihrem Hinscheiden solche Hochachtung entgegengebracht worden.«
»Es ist furchtbar, daß dieses ganze Desaster überhaupt erst soweit gedeihen konnte«, sagte Felicia mit angespanntem Gesicht. Sie blinzelte, als müsse sie die Tränen zurückdrängen.
»Was meinst du damit?« Damaris schaute sie perplex an.
»Gedeihen wozu?«
»Zu einem Prozeß natürlich. Der Fall hätte schon längst erledigt sein sollen.« Sie wandte sich an Peverell. »Das ist deine Schuld. Ich habe eigentlich erwartet, daß du alles regelst und dafür sorgst, daß Thaddeus’ Andenken nicht Gegenstand niederträchtiger Spekulationen wird und daß Alexandras Wahnsinn und – man muß es einmal aussprechen – Boshaftigkeit sich nicht zur öffentlichen Sensation für den Abschaum der Gesellschaft entwickelt. Als Anwalt hättest du es verhindern können, und als ein Mitglied dieser Familie hättest du eigentlich von selbst auf die Idee kommen und es tun müssen.«
»Du bist ungerecht«, protestierte Damaris sofort; ihre Wangen brannten, ihre Augen glitzerten. »Nur weil man Anwalt ist, heißt das noch lange nicht, daß man mit dem Gesetz machen kann, was man will. Es ist sogar genau andersherum. Peverell hat eine Verantwortung und eine Verpflichtung gegenüber dem Gesetz, die wir nicht haben. Ich wüßte wirklich gern, was er deiner Meinung nach hätte tun sollen!«
»Alexandra für geistesgestört und verhandlungsunfähig erklären, zum Beispiel«, versetzte Felicia. »Statt sie zu ermuntern, einen Anwalt zu engagieren, der unser Privatleben in aller Öffentlichkeit breittreten und unsere intimsten Gefühle vor dem gemeinen Volk zur Schau stellen wird, damit es sich ein Urteil über eine sattsam bekannte Tatsache bilden kann – daß Alexandra Thaddeus ermordet hat. Um Himmels willen, sie streitet es ja nicht einmal ab!«
Cassian saß kreidebleich da, die Augen unverwandt auf seine Großmutter geheftet.
»Warum?« durchschnitt sein zaghaftes Stimmchen das Schweigen.
Hester und Felicia antwortete gleichzeitig.
»Das wissen wir nicht«, sagte Hester.
»Weil sie krank ist«, übertönte Felicia ihre Worte. Sie drehte sich zu ihrem Enkel um. »Es gibt körperliche und geistige Gebrechen. Deine Mutter hat einen kranken Geist, und das hat sie dazu getrieben, etwas sehr Schlimmes zu tun. Es ist besser, du versuchst nicht mehr daran zu denken.« Sie streckte zögernd die Hand nach ihm aus, änderte jedoch ihre Meinung. »Natürlich wird das nicht einfach sein, aber du bist ein Carlyon, und du bist tapfer. Denke immer daran, was für ein großartiger Mann dein Vater war und wie stolz er auf dich gewesen ist. Werde so wie er.« Für einen kurzen Moment versagte ihre Stimme; sie kämpfte mit den Tränen. Dann bekam sie sich unter größter, sichtlich qualvoller Anstrengung wieder in die Hand. »Du schaffst es. Wir werden dir helfen, dein Großvater und ich und deine Tanten.«
Cassian blieb stumm, drehte sich jedoch um und warf seinem Großvater aus traurigen Augen einen überaus vorsichtigen Blick zu. Dann verzog sich sein Gesicht langsam zu einem scheuen, verunsicherten Lächeln. Seine Augen füllten sich mit Tränen. Er schniefte heftig, schluckte, und alle wandten sich ab, als wollten sie nicht aufdringlich erscheinen.
»Werden sie ihn in den Zeugenstand rufen?« fragte Damaris besorgt.
»Selbstverständlich nicht«, tat Felicia die Idee als vollkommen absurd ab. »Was in aller Welt sollte er schon wissen?«
Damaris wandte sich mit fragendem Blick an Peverell.
»Ich weiß es nicht«, antwortete der. »Aber ich bezweifle es.« Felicia stierte ihn an. »Großer Gott, tu endlich etwas Sinnvolles! Verhindere es! Er ist erst acht Jahre alt!«
»Ich kann es nicht verhindern, Schwiegermama«, erwiderte Peverell geduldig. »Wenn Anklage oder Verteidigung ihn vorladen, wird der Richter entscheiden, ob er als Zeuge zulässig ist. Entscheidet er sich dafür, muß Cassian aussagen.«
»Du hättest nicht zulassen dürfen, daß es zum Prozeß kommt«, wiederholte sie wutentbrannt. »Sie hat gestanden. Wem nützt es noch, wenn die ganze unglückselige Geschichte vor Gericht ausgebreitet wird? Man wird sie so oder so hängen.« Ihr Blick wurde hart, ihre Augen schweiften über die
Weitere Kostenlose Bücher