Eine Spur von Verrat
Falten gelegte Vorhänge aus weinrotem Samt, die von goldfarbenen Schärpen zusammengehalten wurden, und einen in etwas dunklerem Ton gemusterten Teppich. Ihr Blick fiel kurz auf zwei große Bronzestatuen in überladenem Renaissancestil sowie einige Terrakottazierstücke in der Nähe des Kaminsimses, dann wandte sie sich den Carlyons zu.
Colonel Randolf Carlyon saß völlig entspannt, fast wie im Schlaf, in einem der stattlichen Lehnstühle, ein großer Mann, den das Alter träge gemacht hatte. Sein frisch aussehendes Gesicht lag zur Hälfte unter einem weißen Schnurrbart und weißen Koteletten verborgen, die hellblauen Augen blickten müde in die Welt. Er machte Anstalten aufzustehen, als Hester das Zimmer betrat, doch der Versuch endete in einer halben Verbeugung, die gerade noch ausreichte, der Etikette Genüge zu tragen.
Felicia Carlyon erweckte einen vollkommen anderen Eindruck. Sie war vielleicht zehn Jahre jünger als ihr Mann, um die Fünfundsechzig etwa, und strahlte nicht die Spur von Passivität oder Resignation aus, wenn ihre Züge auch eine gewisse Anspannung verrieten, ihr Mund etwas hart wirkte und sich schwache Schatten unter ihren großen, tiefliegenden Augen abzeichneten. Schlank und kerzengerade stand sie vor dem Tisch aus Walnußholz, auf dem zum Tee gedeckt war; um ihre erstklassige Körperhaltung hätte sie so manche jüngere Frau beneidet. Wegen der Trauer um ihren Sohn trug sie selbstverständlich Schwarz, ein Schwarz allerdings, das überaus hübsch und lebendig wirkte. Ihr Kleid war mit wunderschöner Perlenstickerei besetzt und in schwarze Samtborte eingefaßt, das schwarze Spitzenhäubchen ähnlich elegant.
Sie rührte sich nicht vom Fleck, als die drei Frauen hereinkamen, aber ihr Blick richtete sich sofort auf Hester, welche die Stärke ihrer Persönlichkeit augenblicklich spürte.
»Guten Tag, Miss Latterly«, sagte Felicia freundlich, jedoch ohne Wärme. Sie hielt sich mit ihrem Urteil über Menschen zurück; ihre Hochachtung mußte man erst verdienen. »Wie freundlich von Ihnen, daß Sie gekommen sind. Edith hat nur Gutes über Sie erzählt.«
»Guten Tag, Mrs. Carlyon«, gab Hester gleichermaßen förmlich zurück. »Ich muß mich bedanken, daß Sie mich trotz dieser schweren Zeit empfangen. Darf ich Ihnen bitte mein aufrichtiges Beileid ausdrücken.«
»Danke.« Felicias vollendete Haltung und die Knappheit ihrer Antwort ließen jedes weitere Wort taktlos erscheinen. Sie hatte offensichtlich nicht den Wunsch, dieses Thema näher zu erörtern. Es war bei weitem zu persönlich, und ihre Gefühle gingen niemanden außer sie selbst etwas an. »Es freut mich, daß Sie uns beim Tee Gesellschaft leisten wollen. Bitte, machen Sie es sich bequem.« Auch ohne eine einladende Geste ihrerseits lag die Aufforderung auf der Hand.
Hester bedankte sich nochmals und setzte sich – nicht im mindestens bequem – auf das dunkelrote Sofa, das am weitesten vom Kamin entfernt stand. Edith und Damaris ließen sich ebenfalls nieder, dann wurden die Begrüßungsfloskeln, zu denen Randolf Carlyon lediglich soviel beisteuerte, wie die Höflichkeit von ihm verlangte, zu Ende gebracht.
Bis das Mädchen endlich die allerletzten Teehäppchen gebracht hatte, wurden ausschließlich Banalitäten gewechselt. Es gab hauchdünne Sandwiches mit Gurke, Brunnenkresse, Frischkäse und niedlich arrangierten Eischeibchen, französische Pasteten und Sahnetorte mit Marmeladenfüllung. Hester betrachtete das Aufgebot mit hellem Entzücken und wünschte sich, dies wäre eine Gelegenheit, bei der man herzhaft zulangen konnte – was selbstverständlich überhaupt nicht in Frage kam.
Nachdem der Tee eingeschenkt und weitergereicht worden war, schaute Felicia Hester mit höflichem Interesse fragend an.
»Laut Edith sind Sie viel in der Welt herumgekommen, Miss Latterly. Waren Sie auch in Italien? Dieses Land hätte ich selbst gern einmal besucht, aber als es für mich noch durchführbar gewesen wäre, hatten wir leider Krieg. Hat es Ihnen dort gefallen?«
Hester fragte sich verzweifelt, was zum Teufel Edith gesagt haben konnte, aber sie wagte es nicht, die Freundin anzuschauen, und Felicia Carlyon wartete auf eine Antwort. Auf keinen Fall durfte Edith unglaubwürdig erscheinen.
»Vielleicht habe ich mich Edith gegenüber nicht klar genug ausgedrückt.« Sie zwang sich zu einem Lächeln. Fast hätte sie »Ma’am« hinzugefügt, als spräche sie mit einer Herzogin, was natürlich vollkommen absurd war. Diese Frau stand
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