Eine Spur von Verrat
– nicht nur aus unserem Kulturkreis. Er war zum Beispiel ganz fasziniert davon, wie sich die Spartaner kurz vor der Schlacht am Thermopylenpaß noch die Haare gekämmt haben – und dann sind sie alle umgekommen. Dreihundert an der Zahl, aber sie retteten auf diese Weise Griechenland. Und Horatius auf der Brücke…«
»Das kenne ich«, warf Hester hastig ein. »Die ›Lieder des alten Rom‹ von Macauly. Allmählich fange ich an zu verstehen. Mit solchen Größen konnte er sich identifizieren: Ehre, Pflicht, Mut, Loyalität – keine schlechten Dinge. Es tut mir leid…«
Edith warf ihr einen dankbaren Blick zu. Zum erstenmal hatten sie über den Menschen Thaddeus gesprochen – um den man sich Gedanken machen konnte, der mehr war als bloß der Mittelpunkt einer Tragödie. »Trotzdem war er wohl eher ein Verstandesdenn gefühlsbetonter Mann«, fügte sie hinzu und kehrte damit zum eigentlichen Thema zurück. »Für gewöhnlich wirkte er sehr beherrscht, sehr zivilisiert. In gewisser Weise war er Mama nicht unähnlich. Er hatte einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, dem er meines Wissens nicht ein einziges Mal abtrünnig geworden ist weder in Worten noch in Taten.«
Sie verzog das Gesicht und schüttelte leicht den Kopf. »Falls er insgeheim für Louisa entflammt war, hat er es ausgezeichnet überspielt. Und daß er ihr hinreichend verfallen war, um einer Sache zu frönen, die in seinen Augen nur ein Verrat sein konnte – weniger an Alexandra als an seinen Prinzipien –, kann ich mir ehrlich gesagt überhaupt nicht vorstellen. Ehebruch wäre für ihn undenkbar gewesen, weil er sich gegen die Unantastbarkeit der Familie und seine eigenen Werte gerichtet hätte. Keiner seiner Idole hätte so etwas getan. Völlig ausgeschlossen.«
Sie hob die Schultern zu einem betont übertriebenen Achselzucken. »Doch nehmen wir einmal an, er hätte tatsächlich ein Verhältnis mit Louisa gehabt und wäre ihrer irgendwann überdrüssig oder plötzlich von seinem Gewissen geplagt worden. Ich bin überzeugt, sie wäre ihm zuvorgekommen, indem sie ihn verlassen hätte. Ich mag sie nicht besonders, aber objektiv betrachtet ist sie eine kluge Frau, die eine derartige Entwicklung garantiert vorausgesehen hätte. Sie würde diejenige sein wollen, die das Verhältnis beendet; ihm hätte sie das niemals erlaubt.«
»Und wenn sie ihn geliebt hat?« beharrte Hester. »Manche Frauen lieben die Taube auf dem Dach mit einem Feuer, das sie für den Spatz in der Hand niemals aufbringen könnten. Könnte sie sich nicht schlichtweg geweigert haben zu akzeptieren, daß er ihre Liebe nicht erwidert, so daß sie ihn in einem Anfall von Verzweiflung lieber umbrachte, als ihn…«
Edith brach in schallendes Gelächter aus. »Du meine Güte, Hester! Ist das dein Ernst? Was bist du nur für eine unheilbare Romantikerin. Du lebst ja in einer Welt, in der es von verzehrender Leidenschaft, unsterblicher Liebe, abgrundtiefer Selbstaufopferung und rasender Eifersucht nur so wimmelt! Keiner der beiden paßt da auch nur im entferntesten hinein. Thaddeus war zwar heldenhaft, aber er war auch borniert, verknöchert, außerordentlich festgefahren in seinen Ansichten und erschreckend kalt, wenn man etwas auf dem Herzen hatte. Man kann nicht ständig ein Epos nach dem anderen lesen, weißt du. Die meiste Zeit war er verschlossen und egozentrisch. Und die einzig wirkliche Leidenschaft, die Louisa empfindet, gilt sich selbst. Es gefällt ihr, geliebt, bewundert und beneidet – das ganz besonders – zu werden, sie fühlt sich am wohlsten, wenn sie im Mittelpunkt steht. Eine Beziehung wäre ihr niemals wichtiger als die eigene Person. Außerdem kommt erschwerend hinzu, daß sie sich zwar atemberaubend kleidet, selbstbewußt herumstolziert und jedem schöne Augen macht, aber Maxim hat überaus hohe Moralvorstellungen – und darüber hinaus das Geld. Er würde sich keine Eskapaden ihrerseits gefallen lassen.« Sie biß sich auf die schön geschwungene Unterlippe. »Er hat Alex einmal sehr geliebt, sich aber jeden Gedanken an eine Beziehung zu ihr verboten. Er würde niemals dulden, daß Louisa jetzt Schindluder mit ihm treibt.«
Hester forschte unauffällig in Ediths Zügen; sie wollte ihr nicht unnötig weh tun, kam gegen die Gedankenflut in ihrem Kopf jedoch nicht an. »Thaddeus hatte sicherlich auch Geld? Wenn Louisa ihn geheiratet hätte, wäre sie von Maxim nicht mehr abhängig gewesen.«
Edith lachte abermals aus voller Kehle. »Sei nicht albern! Für sie
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