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Eine Spur von Verrat

Eine Spur von Verrat

Titel: Eine Spur von Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Glöckchen und schwenkte es durch die Luft.
    Beinah gleichzeitig erschien ein Lakai.
    »Holen Sie Master Cassian, James. Sagen Sie ihm, man erwartet ihn bei Tisch.«
    »Jawohl, Ma’am.« Gehorsam trottete er von dannen. Randolf stieß ein wortloses Grunzen aus und widmete sich wieder seinem Essen.
    »Ich nehme an, die Zeitungen berichten nur Gutes über General Carlyon.« Hester hörte selbst, wie grell ihre Stimme das Schweigen durchschnitt; ihre Worte klangen fürchterlich plump und steif. Aber wie sonst sollte sie ihr Ziel erreichen? Darauf zu hoffen, daß einer von ihnen etwas Aufschlußreiches sagen oder tun würde, wenn sie lediglich geruhsam ihren Lunch verzehrten, war in der Tat zu optimistisch. »Seine Laufbahn beim Militär war geradezu spektakulär«, fuhr sie fort. »Das wurde bestimmt erwähnt.«
    Randolf betrachtete sie mit grüblerischer Miene.
    »O ja, das war sie. Er war ein herausragender Mann, eine Zierde für seine Generation und seine Familie. Wenn mir auch ein Rätsel ist, wie Sie das beurteilen wollen, Miss Latterly. Da ich jedoch davon ausgehe, daß Ihre Bemerkung gut gemeint ist und in freundlicher Absicht gemacht wurde, möchte ich mich für Ihre Höflichkeit bedanken.« Dabei sah er alles andere als dankbar aus.
    Hester hatte den Eindruck, mit ihrer Lobhudelei zu weit gegangen zu sein. Als ob sie ihn als ihr spezielles Eigentum betrachten würden und außer ihnen niemand über ihn sprechen dürfte!
    »Ich habe selbst ziemlich viel Zeit in der Armee verbracht, Colonel Carlyon«, verteidigte sie sich.
    »Armee!« fuhr er ihr verächtlich über den Mund. »Unsinn, junge Dame! Sie waren eine Krankenschwester, eine, die den Chirurgen das Süppchen gekocht hat. Das ist wohl kaum dasselbe!«
    Hesters Temperament ging mit ihr durch; sie vergaß Monk, Rathbone und Alexandra Carlyon.
    »Ich wüßte zu gern, wie Sie das beurteilen wollen«, sagte sie in einer präzisen, boshaften Imitation seines Tonfalls. »Sie waren nicht dort. Sonst wäre Ihnen bekannt, daß sich die Aufgaben der Lazarettschwestern in letzter Zeit erheblich gewandelt haben. Ich habe die Gefechte verfolgt und bin anschließend über die Schlachtfelder gelaufen. Ich habe den Ärzten in den Feldlazaretts assistiert und darf wohl behaupten, in dieser kurzen Zeit mindestens ebenso viele Soldaten kennengelernt zu haben wie Sie.«
    Randolfs Gesicht erstrahlte in sattem Pflaumenblau, seine Augen traten aus den Höhlen.
    »Und General Carlyons Name wurde nicht einmal erwähnt«, fügte sie kühl hinzu. »Zur Zeit betreue ich aber einen gewissen Major Tiplady, der ebenfalls in Indien gedient hat. Er hat mir ein wenig über ihn sagen können. Ich spreche nicht von Dingen, über die ich nichts weiß. Oder bin ich falsch informiert?«
    Randolf schwankte zwischen dem brennenden Wunsch, ihr eine Unverschämtheit an den Kopf zu werfen, dem Verlangen, seinen Sohn und den Familienstolz zu verteidigen, und einem zumindest halbwegs höflichen Verhalten einem Gast gegenüber, den er nicht einmal eingeladen hatte. Der Familienstolz setzte sich durch.
    »Natürlich nicht«, meinte er widerwillig. »Thaddeus war eine Ausnahmeerscheinung. Er war nicht nur brillant, wenn es um militärische Angelegenheiten ging, er war darüber hinaus ein Mensch, dessen Name nicht durch den geringsten Makel von Unehrenhaftigkeit befleckt war.«
    Felicia starrte mit zusammengepreßten Lippen auf ihren Teller. Hester fragte sich, welchen ungeheuren Schmerz sie angesichts des Todes ihres einzigen Sohnes empfinden mußte. Einen Schmerz, den sie mit derselben eisernen Disziplin verbarg, die sie zweifellos ihr ganzes Leben begleitet hatte; während der Einsamkeit in langen Monaten fern von zu Hause womöglich, an unbekannten Orten, unter harten klimatischen Bedingungen, stets mit drohender Verwundung und Krankheit konfrontiert. Und jetzt sah sie sich einem scheußlichen und vernichtenden persönlichen Verlust ausgesetzt. Der Mut und die Pflichtergebenheit solcher Frauen war dem britischen Soldaten eine unglaubliche Stütze gewesen.
    Die Tür tat sich auf, und ein kleiner blonder Junge mit schmalem, blassem Gesicht kam herein; er spähte erst zu Randolf, dann zu Felicia hin.
    »Entschuldigung, Großmama«, sagte er kaum hörbar.
    »Es sei dir noch einmal verziehen«, entgegnete diese förmlich. »Aber laß es nicht zur Gewohnheit werden, Cassian. Es ist sehr unhöflich, zu spät zu den Mahlzeiten zu kommen. Setz dich jetzt bitte hin, James wird dir dein Essen bringen.«
    »Ja,

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