Eine Spur von Verrat
auch nur im entferntesten zur Strafmilderung beitragen«, stellte Monk klar. »Damit würde sie genauso sicher hängen wie mit ihrem augenblicklich angegebenen Motiv.«
»Und was wollen Sie? Aufgeben etwa?« versetzte Hester erbost.
»Was ich will, ist unerheblich«, erwiderte Monk. »Ich kann es mir nicht leisten, mich nur zum Vergnügen in fremde Angelegenheiten zu mischen.«
»Ich werde noch einmal mit ihr sprechen«, verkündete Rathbone. »Ich kann sie ja wenigstens fragen.«
Alexandra hob den Kopf, als er die Zelle betrat. Für einen Augenblick glomm so etwas wie Hoffnung in ihren Zügen auf, dann gewann der Verstand die Oberhand, und Furcht übernahm ihren Platz.
»Mr. Rathbone?« Sie schluckte mühsam, als wäre ihre Kehle zu eng. »Was führt Sie zu mir?«
Die Tür schlug rasselnd hinter ihm zu. Sie hörten beide das laute Krachen, mit der sie ins Schloß fiel, und die darauffolgende tiefe Stille. Er hätte ihr gern etwas Tröstendes oder zumindest Freundliches gesagt, doch das war weder der rechte Ort dafür, noch reichte die Zeit.
»Ich hätte Ihre Worte nicht anzweifeln sollen, Mrs. Carlyon«, sagte er und sah ihr fest in die tiefblauen Augen. »Ich dachte, Sie hätten vielleicht gestanden, um Ihre Tochter zu decken. Aber Monks Nachforschungen haben zweifelsfrei erwiesen, daß Sie Ihren Mann tatsächlich getötet haben. Das geschah allerdings nicht, weil er eine Affäre mit Louisa Furnival hatte, denn eine solche hat nie existiert – wie Sie sehr genau wußten.«
Mit aschfahlem Gesicht starrte sie ihn an. Genausogut hätte er ihr einen Fausthieb versetzen können, doch sie stand vor ihm, ohne mit der Wimper zu zucken. Was für eine außergewöhnliche Frau. Er fühlte sich plötzlich wieder in dem Wunsch bestärkt, die Wahrheit zu ergründen. Warum in aller Welt hatte sie sich zu diesem fruchtlosen und von vornherein zum Scheitern verurteilten Gewaltakt hinreißen lassen? Hatte sie sich etwa eingebildet, sie könnte ungeschoren davonkommen?
»Weshalb haben Sie ihn getötet, Mrs. Carlyon?« fragte er in eindringlichem Ton und beugte sich zu ihr vor. Draußen fiel Regen. In der Zelle war es düster und klamm.
Sie wandte den Kopf nicht ab, schloß aber die Augen, um seinem Blick zu entgehen.
»Ich habe es Ihnen schon mehrmals gesagt! Ich war eifersüchtig auf Louisa Furnival!«
»Das ist nicht wahr!«
»Ist es doch.«
»Man wird Sie hängen«, sagte er ganz bewußt. Sie zuckte zusammen, hielt ihm aber verbissen den Kopf zugewandt und die Augen krampfhaft geschlossen. »Wenn wir keine Begleitumstände nennen können, die Ihr Verhalten zumindest teilweise erklären, wird man Sie hängen, Mrs. Carlyon! Um Himmels willen, sagen Sie mir endlich, warum Sie es getan haben.« Seine Stimme war tief, heiser und nachdrücklich. Wie konnte er diesen Wall des Leugnens durchdringen? Was konnte er vorbringen, um zu ihrem Verstand vorzustoßen? Am liebsten hätte er ihre dünnen Arme gepackt und ihr durch kräftiges Schütteln Vernunft eingebleut. Das wäre jedoch ein so umfassender Bruch mit jeglicher Form von Etikette, daß es die Stimmung zerstören und das eigentliche Thema – das, bei dem es um ihr Leben ging – vorübergehend in den Hintergrund drängen würde.
»Warum haben Sie ihn ermordet?« wiederholte er verzweifelt.
»Was immer Sie sagen, es kann nicht mehr schlimmer werden, als es bereits ist.«
»Ich habe ihn getötet, weil er ein Verhältnis mit Louisa hatte«, sagte sie tonlos. »Jedenfalls nahm ich das an.«
Mehr war nicht aus ihr herauszubekommen. Sie war weder bereit, dem etwas hinzuzufügen, noch etwas von dem bereits Gesagten zurückzunehmen.
Schweren Herzens gab er sich vorläufig geschlagen und verabschiedete sich. Sie blieb mit gräulichem Gesicht, zur Statue erstarrt, auf der Pritsche sitzen.
Draußen prasselte der Regen von einem bleiernen Himmel herab. Die Rinnsteine füllten sich mit Wasser, die Leute machten mit hochgeschlagenen Kragen, daß sie ins Trockene kamen. Sein Weg führte ihn an einem Zeitungsjungen vorbei, der die jüngsten Schlagzeilen in die Welt posaunte. Er liebkoste jedes einzelne Wort mit wahrer Wonne, während er die Gesichter der Passanten beobachtete, die sich nach ihm umdrehten. »Skandal, Skandal in der City! Finanzier brennt mit Vermögen durch. Geheimes Liebesnest entdeckt! Skandal in der City!«
Rathbone beschleunigte seinen Schritt, um von ihm wegzukommen. Die Zeitungen hatten Alexandra und den Mord an General Carlyon vorübergehend ad acta
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