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Eine Spur von Verrat

Eine Spur von Verrat

Titel: Eine Spur von Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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gelegt, doch sobald der Prozeß einmal begonnen hätte, würde es wieder auf allen Titelblättern stehen. Jeder Zeitungsjunge würde die täglichen Enthüllungen mit Inbrunst hinausschreien, die Details eifrig studieren, sie mit Vergnügen verdrehen, seiner Phantasie freien Lauf lassen und Alexandra verdammen.
    Und wie man sie verdammen würde. Er gab sich nicht der Illusion hin, daß man eventuell Erbarmen mit ihr haben könnte. Die Gesellschaft wußte sich vor dem drohenden Zerfall zu schützen. Man würde die Reihen schließen, und die wenigen, die vielleicht doch so etwas wie Mitleid empfanden, würden nicht wagen, es zuzugeben. Jede Frau, die sich in ähnlicher Lage befand oder wähnte, brächte sogar noch weniger Verständnis auf. Wenn sie es ertragen mußte, warum sollte Alexandra dann in der Lage sein zu entfliehen? Und kein Mann, der je einen Blick oder einen Gedanken riskiert hatte oder es für die Zukunft nicht ausschließen konnte –, würde eine Frau dazu ermutigen, sich für ein kurzes und harmloses Frönen seiner allzu natürlichen Gelüste zu rächen. Carlyon hatte sich zwar des Flirtens schuldig gemacht – der Ehebruch war noch nicht einmal bewiesen –, aber was war das schon verglichen mit Mord?
    Konnte er überhaupt etwas für sie tun? Sie hatte ihn jeder Waffe beraubt, die er vielleicht hätte einsetzen können. Das einzige, was ihm geblieben war, war Zeit. Aber Zeit wofür?
    Er kam an einem Bekannten vorbei, war jedoch zu sehr in seine Gedanken vertieft, um dessen Gruß wahrzunehmen. Erst zwanzig Meter später traf ihn die Erkenntnis wie ein Donnerschlag, doch da war es für eine Entschuldigung längst zu spät.
    Der Regen flaute ab, zurück blieb ein böiger Frühjahrswind. Helle Sonnenstrahlen blitzten sporadisch über das nasse Pflaster. Mit seinem momentanen Erkenntnisstand würde er vor Gericht verlieren. Ohne jeden Zweifel. Er konnte sich das Gefühl der Hilflosigkeit lebhaft vorstellen, während die Anklage seine Beweisführung mühelos in Fetzen riß, die Zuschauer ihn verhöhnten, der Richter sich stumm und vom Fall unabhängig zumindest nach dem Schein einer Verteidigung sehnte, der Mob auf der Galerie nach Einzelheiten und letztlich nach dem unheilvollen Urteilsspruch, der schwarzen Henkerskapuze und der Hinrichtung gierte. Noch schlimmer würde der Anblick der Geschworenen sein: ernste Männer, durch die Gewichtigkeit der Situation eingeschüchtert, durch die Geschichte und ihr unausweichliches Ende zutiefst beunruhigt. Und dann wäre da natürlich noch Alexandra selbst, umgeben von derselben Hoffnungslosigkeit, die ihm bereits im Gefängnis aufgefallen war.
    Und nachher würden ihn seine Kollegen fragen, warum er eine derart miserable Vorstellung gegeben hätte. Von welchem Teufel er geritten worden sei, einen solchen Fall zu übernehmen. Wo war bloß seine vielgerühmte Brillanz geblieben? Sein Ruf würde leiden. Selbst sein Praktikant würde ihn auslachen und hinter seinem Rücken Erkundigungen einziehen.
    Er hielt eine Droschke an und ließ sich das letzte Stück bis zur Vere Street fahren, schlechtgelaunt und so gut wie entschlossen, den Fall niederzulegen und Alexandra Carlyon zu sagen, er könne nichts für sie tun, wenn sie ihm nicht die Wahrheit verriet.
    Vor seiner Kanzlei stieg er aus, bezahlte den Kutscher und ging hinein. Im Vorzimmer teilte man ihm mit, Miss Latterly warte auf ihn.
    Ausgezeichnet. Somit erhielt er gleich Gelegenheit, ihr von seinem Gefängnisbesuch zu erzählen und ihr mitzuteilen, daß er Alexandra nicht mehr hatte entlocken können als die idiotische Beteuerung ihrer Geschichte, deren Unwahrheit sie alle nur zu gut kannten. Vielleicht konnte Peverell Erskine sie ja zum Sprechen bewegen. Falls nicht, wäre der Fall, zumindest was ihn betraf, erledigt.
    Er hatte das Zimmer kaum betreten, als Hester auch schon neugierig aufsprang, das Gesicht voll unausgesprochener Fragen.
    Irgendwo regte sich ein schwacher Zweifel. Seine Selbstsicherheit geriet ins Wanken. Bevor er sie gesehen hatte, war er fest entschlossen gewesen, den Fall niederzulegen; jetzt brachte ihr Eifer ihn völlig durcheinander.
    »Haben Sie mit ihr gesprochen?« Sie entschuldigte sich nicht für ihr unangekündigtes Erscheinen. Die Sache lag ihr viel zu sehr am Herzen, als daß sie Gleichgültigkeit vorschützen oder Rechtfertigungen von sich geben konnte, und sie ging davon aus, daß es bei ihm ebenfalls so war.
    »Ja, ich komme gerade aus dem Gefängnis…«, fing er an.
    »Oh.« Seinem

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