Eine Spur von Verrat
ins Haus stehenden, unliebsamen Überraschung durchforstete. Womöglich hielt er einen entscheidenden Fakt zurück, um den dramatischen Effekt und seine eigene Genugtuung noch zu steigern. Doch er entdeckte nichts. Monks Gesicht war ein offenes Buch.
»Ich habe mir wieder und wieder den Kopf darüber zerbrochen«, gab er freimütig zu. »Aber nichts deutet darauf hin, daß er sie in irgendeiner Form schlecht behandelt hat, und geäußert hat sich dahingehend auch niemand.« Er warf Hester einen kurzen Blick zu.
Rathbone schaute sie ebenfalls an. »Hester? Wenn Sie an Alexandras Stelle wären – können Sie sich irgendeinen Grund vorstellen, warum Sie einen solchen Mann töten würden?«
»Einige«, gab sie mit einem verzerrten Lächeln zurück, biß sich dann jedoch schnell auf die Lippe, als sie merkte, was man hinsichtlich derartiger Gefühle von ihr halten könnte.
Rathbones Erheiterung schlug sich in einem breiten Grinsen nieder. »Zum Beispiel?«
»Spontan fällt mir ein, wenn ich einen anderen Mann lieben würde.«
»Und der zweite?«
»Wenn er eine andere Frau lieben würde.« Ihre Brauen wanderten nach oben. »Offengestanden hätte ich ihn mit Freuden ziehen lassen. Er scheint ein – ein regelrechter Hemmschuh gewesen zu sein. Aber wenn die Schande für mich unerträglich wäre, wenn ich nicht aushalten könnte, was meine Freunde – beziehungsweise meine Feinde – über mich reden, wie sie sich hinter meinem Rücken über mich lustig machen und vor allem, wie sie mich bemitleiden… Von dem Triumph der anderen ganz zu schweigen.«
»Aber er hatte keine Affäre mit Louisa«, gab Monk zu bedenken. »Ach so – Sie meinen eine ganz andere Frau? Jemand, den wir noch nicht in Erwägung gezogen haben? Aber warum ausgerechnet an jenem Abend?«
Hester zuckte die Achseln. »Warum nicht? Vielleicht hat er sie verhöhnt? Vielleicht war das der Abend, an dem er es ihr gebeichtet hat? Wir werden wohl nie dahinterkommen, was zwischen den beiden gesprochen worden ist.«
»Fallen Ihnen noch andere Gründe ein?«
In dem Moment erschien der Butler diskret auf der Bildfläche und erkundigte sich, ob sie noch einen Wunsch hätten. Rathbone fragte seine Gäste, die verneinten, bedankte sich bei ihm und wünschte ihm eine gute Nacht.
Hester seufzte. »Geld?« antwortete sie, nachdem sich die Tür wieder geschlossen hatte. »Vielleicht ist sie zu verschwenderisch damit umgegangen oder hat Unsummen verspielt, und er weigerte sich, ihre Schulden zu bezahlen. Vielleicht hatte sie Angst, von ihren Gläubigern öffentlich bloßgestellt zu werden. Nur –« Sie runzelte die Stirn und blickte von einem zum andern. Irgendwo draußen bellte ein Hund. Jenseits der Fenster war es inzwischen fast dunkel. »Ich verstehe nur nicht, warum sie behauptet, es aus Eifersucht getan zu haben. Eifersucht ist eine häßliche Sache und in keinster Weise eine Entschuldigung – oder?« Ihr Blick konzentrierte sich auf Rathbone. »Würde das Gesetz so etwas berücksichtigen?«
»Nicht im geringsten«, erwiderte er grimmig. »Im Falle eines Schuldspruchs, der aufgrund dieser Beweislast unabwendbar ist, wird man sie hängen.«
»Was können wir also tun?« Ihre Beunruhigung war Hester deutlich anzusehen. Ihr Blick hielt seinen unnachgiebig fest und war mit tiefer Betroffenheit erfüllt. Es erstaunte ihn. Sie war die einzige, die Alexandra Carlyon nicht persönlich kannte. Seine eigene Leere, dieses bohrende Gefühl von Machtlosigkeit waren verständlich; er hatte die Frau gesehen. Für ihn war sie ein Wesen aus Fleisch und Blut. Ihre Hoffnungslosigkeit und Angst hatten ihn berührt; ihr Tod würde die endgültige Auslöschung eines Bekannten bedeuten. Für Monk mußte das gleiche gelten. Trotz seiner zeitweiligen Unbarmherzigkeit hatte Rathbone nicht den geringsten Zweifel, daß dieser Mann ebenso zu Mitgefühl imstande war wie er selbst.
Doch für Hester war sie nicht mehr als eine Phantasiegestalt, ein Name und eine Reihe von Umständen, sonst nichts. »Was werden wir also tun?« Sie ließ nicht locker. »Ich weiß es nicht«, entgegnete er. »Wenn sie mir nicht die Wahrheit sagt, kann ich ihr kaum helfen.«
»Dann fragen Sie sie danach«, gab Hester heftig zurück.
»Gehen Sie zu ihr, sagen Sie ihr, was Sie wissen, und verlangen Sie, die Wahrheit zu erfahren. Das wäre vielleicht am besten. Es könnte…«, ihre Stimme erstarb, »… sich vielleicht etwas Strafmilderndes ergeben«, schloß sie lahm.
»Keiner Ihrer Vorschläge würde
Weitere Kostenlose Bücher