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Eine Stadt names Cinnabar

Eine Stadt names Cinnabar

Titel: Eine Stadt names Cinnabar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Bryant
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Biogenese-Center hinab. Vince spähte über das Geländer. Ungefähr zehn Meter unter ihnen standen etwa dreißig einfach gekleidete Männer und Frauen, die wütend zu ihnen hinaufdrohten. Es flogen auch ein paar Steine. Sie führten Plakate mit sich, auf denen stand:
     
    NUR NATURGEMÄSS!
     
    „Was ist denn da los?“ fragte Vince.
    „Neo-Crealisten. Ich glaube, wir besuchen das Center heute lieber nicht.“
    „Was sind das für Leute?“
    „Sie bezeichnen sich als kreative Anachronisten. Mißgeleitete Romantiker, die eine Vergangenheit zurückhaben wollen, die nie existiert hat.“
     
    MUTTERSCHAFT IST HEILIG!
     
    Von den Frauen waren mehrere offensichtlich schwanger.
    „Sie sind gegen die Ektogenese, weil sie sie für historisch unnatürlich halten.“
    „Können sie denn nicht ihre Kinder kriegen, wie sie wollen?“
    „Selbstverständlich.“
    „Warum schmeißen sie denn dann mit Steinen?“
    „Sie haben ihre Wahrheit entdeckt, und nun zerren sie sie herum, wie ein Hund den Knochen. Sie wollen uns anderen ihre krankhafte Nostalgie aufzwingen.“
     
    ZWEI GESCHLECHTER
    NICHT MEHR NICHT WENIGER!
     
    Eine wütende Stimme drang zu ihnen empor: „Nieder mit der Hure des Heterogynen!“
    „Sie haben mich erkannt“, sagte Tourmaline. „Das hat man davon, wenn man ein Star ist.“
    „Des Heterogynen?“
    „Timnath. Es paßt ihnen nicht, daß er schwanger war.“
    Das Schiff hob sich über die wütende Menge, und die Stimmen verklangen.
    „Wir können es morgen noch mal mit dem Center probieren. Wahrscheinlich wird es den Anachronisten zu langweilig, und sie gehen weg. Sie sind eher lästig als gefährlich.“ Tourmaline stellte etwas an den Hebeln des Luftschiffes, dann reckte sie die Arme und gähnte. Vince sah, wie sich ihre Brüste bei der Bewegung hoben. Er wollte mit aller Gewalt nicht rot werden, doch konnte er, wie er genau wußte, nicht verhindern, daß ihm das Blut ins Gesicht schoß. „Wohin fahren wir jetzt?“ fragte er.
    „Ich habe beigedreht, wir bleiben vorm Wind liegen.“ Zwei graue Möwen umkreisten neugierig die Kanzel und flogen weiter. Tourmaline rückte näher an Vince heran. „Nach und nach bekomme ich eine Vorstellung von eurer Kultur“, sagte sie, „und wie bei den Neo-Crealisten bin ich ein bißchen entsetzt.“
    „Das tut mir leid“, erwiderte Vince automatisch.
    „Keine Ursache. Was mich schockiert, ist ein Weltbild, in dem die logischen Möglichkeiten so begrenzt sind. Ich kann mir nur schwer eine Kultur vorstellen, in der die Vermehrung automatisch mit den Schmerzen und Peinlichkeiten des Gebärzwanges gleichgesetzt wird. Haben Sie jemals darüber nachgedacht, was Gebären für ein Gefühl sein muß?“
    „Nein“, gestand Vince.
    „Kann ich mir denken. Sie stecken fest in Ihrem Rollenmuster.“
    „Aber Sie haben doch auch noch kein Kind gehabt“, verteidigte er sich, „wie können Sie es dann wissen?“
    „Das kann man hochrechnen. Außerdem kenne ich Sensorenbänder über Schwangerschaft und Geburt. Die Medien senden sie ab und zu in Horror-Serien.“ Sie ergriff seine Hand. „Sie denken wahrscheinlich, ich sei feige – nun, das bin ich auch. Aber es sind nicht nur die Schmerzen. Ich habe das Gefühl, daß die monatelangen Unannehmlichkeiten der Schwangerschaft in mir ein Gefühl aufkommen lassen würden, als ob das Kind mir etwas schulde – und ich hasse Besitzdenken. Das da …“ – sie führte seine Hand – „… war niemals für solchen Mißbrauch gedacht.“
    Vince erstarrte, doch duldete er es, daß sie ihn berührte.
    „Diese Karin“, sagte sie, „was wollten Sie denn von ihr?“
    Vincent überlegte. „Sie sollte mich lieben.“
    Tourmaline lachte. „Etwas genauer, bitte!“
    „Mich küssen.“
    „Ist das alles?“
    „Nein.“
    „Sag mir alles.“
    Er sagte es ihr, und sie tat es.
    Als der Abend kam, wurde es kühl auf der verschatteten Kanzel unter dem Luftschiff. Tourmaline räkelte sich unruhig und weckte Vincent auf. „Es wird kalt. Wir wollen zurückfahren.“
    „Ich fühle mich wirklich erheblich besser“, sagte Vincent.
    „Das will ich mir auch ausgebeten haben.“ Sie ließ die Motoren schneller laufen und setzte sich an die Handsteuerung. „Sollen wir bei Timnath vorbeifahren und sehen, wie weit er ist?“
    „Gewiß, daran habe ich eben auch gedacht“, erwiderte er. Summend kreuzte das Luftschiff über den Himmel. Mit gespielter Beiläufigkeit legte Vince seine Hand ziemlich hoch auf den Oberschenkel der

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