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Eine Stadt names Cinnabar

Eine Stadt names Cinnabar

Titel: Eine Stadt names Cinnabar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Bryant
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Unnatur!“
    „Die Natur ist gesund, wenn sie differenziert ist.“
    „Quatsch“, sagte der mit dem Knüppel, „krankhafter, perverser Unsinn!“
    Die drei Schläger kamen in einigem Abstand voneinander langsam näher. Vince verfluchte stumm seine Nacktheit. „Komm hinter mich!“ befahl er Tourmaline und versuchte, sie in das bißchen Schutz hineinzustoßen, das er ihr bieten konnte.
    „Du bist auch verrückt! Das ist hier keine historische Romanze“, zischte sie; „du kannst mich auch nicht retten.“
    „Wenigstens kann ich es versuchen.“ Er stellte sich vor sie.
    „Bitte!“ sagte sie zu den Schlägern. „Tut das nicht! Ich habe mich nicht in euer Leben eingemischt.“
    „Du bist gegen die Wahrheit, das genügt“, entschied der Dolch-Mann.
    „Unsere Frauen sind wütend“, sagte der mit den Steinen.
    „Laßt wenigstens den Jungen leben“, bat Tourmaline.
    „Der ist wahrscheinlich schon verdorben“, sagte der Dolch-Mann, und das genügte ihm offenbar auch. „Also los jetzt!“
    Vince packte eine Pelzdecke und warf sie dem Dolch-Mann über, der mit wirbelnden Armen zurücktaumelte. Dann sprang er ohne Zögern den Keulen-Mann zu seiner Rechten an. Ungeschickt versuchte dieser, den Angriff mit vorgehaltener Keule zu parieren. Vince spürte, wie seine Faust in den Solarplexus des Mannes einsank. Er staunte über sich selbst: bisher hatte er sich noch nie ernsthaft gerauft. Er holte aufs neue aus, doch jemand packte ihn von hinten – der Mann mit dem Beutel voller Steine. Drahtige Arme schlangen sich um Vinces Brust und hielten ihm die Arme fest.
    Der Keulen-Mann versuchte, sich aufzurichten; sein Atem kratzte in der Kehle. Er hob den Kopf und starrte Vince haßerfüllt an.
    „Du lausiger, geklonter Bastard!“ Vince erkannte die Stimme des Dolch-Mannes hinter sich. „Da hast du, du mutterloser Abschaum!“
    Vince spürte einen Stich links in der Hüfte, einen kleinen kalten Schmerz wie von der Nadel einer Injektionsspritze. Er versuchte, sich herauszuwinden, doch es gelang ihm nur, den Mann, der ihn festhielt, aus dem Gleichgewicht zu bringen. Miteinander stürzten sie auf den weichen Boden. Dann hörte er dumpfe Schreie wie von einem verwundeten Tier und merkte erst nach einer Ewigkeit, daß er es war, der so schrie.
    Und hinter ihm ertönte noch ein Schrei – Tourmaline. Wieder versuchte er, sich zu befreien, doch er hatte keine Kraft mehr. Er wollte schreien, doch es kam kein Ton.
    Sterbe ich? dachte er. Es tut gar nicht weh.
    Doch bald tat es weh, und die Finsternis nahm ihn hinweg in sanfte, rauschende Stille.
     
     
    Diesmal war es kein heller Traum, nur ein Gefühl wie von Tüchern. Die Fieberphantasien seiner Kindheit kamen wieder: Berührung von etwas Weichem, Haftenden. Und immer ein Kern von Brechreiz … Die Sekunden dehnten sich …
    Vince erwachte in ein freundliches weißes Licht hinein, öffnete die Augen und wurde gewahr, daß er auf dem Rücken lag, nackt, auf einem gepolsterten Tisch. Der Mann, der sich über ihn beugte, hatte ein vertrautes Gesicht. „Timnath?“
    Der Mann schüttelte den Kopf. „Nein, Gerald. Sein Sohn.“ Er trug einen blaßgrünen Kittel.
    „Sind Sie ein Doktor?“
    „Das auch. Ich bin Heiler.“
    „Was ist passiert?“
    „Sie wollen einen Katalog?“ Gerald zählte die Punkte an den Fingern ab. „Stiche in beide Nieren, völliger Stillstand der Nierentätigkeit, massiver Schock, angerissene Aorta, Punktion der vena caya inferiora. Das ist es in der Hauptsache. Interessiert Sie die komplette Liste?“
    „Nein, ich glaube nicht.“ Vince schloß die Augen.
    „Erstaunlicherweise“, fuhr Gerald fort, „stammen sämtliche Verletzungen von diesem Piekeding von Dolch. Ein Stoß, und ein paarmal herumgedreht.“
    „Diese Schufte! Wo ist Tourmaline?“
    „Hier natürlich.“
    Vince öffnete die Augen wieder. Tourmaline beugte sich zu ihm herab und küßte ihn. Sie trug einen schwarzen Fallkragen. „Du bist wirklich unverletzt?“ fragte er.
    „Hier – sieh selber!“ Sie drehte sich. Keine Beule an der Schulter, keine Narbe überm Auge.
    „Wie lange habe ich geschlafen?“
    „Drei Tage“, antwortete Gerald. „Sie haben mich ganz schön Mühe gekostet.“
    Versuchsweise bewegte Vince die Arme.
    „Machen Sie nur. Sie können sich ruhig aufsetzen.“
    Vorsichtig gehorchte er. „Ich kann mich wirklich wieder so bewegen – drei Tage nach diesen Dolchstößen?“
    Hinter ihm kam Timnath herein. „Weißt du noch: die New York Times? Du mußt

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