Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Stadt names Cinnabar

Eine Stadt names Cinnabar

Titel: Eine Stadt names Cinnabar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Bryant
Vom Netzwerk:
seniler, warfen einander mit faulem Obst. Man stelle sich einen für mehrere tausend Menschen gebauten Versammlungsort vor, das Hohle eines gigantischen Eies, dessen halbe obere Schale entfernt worden ist. Nur etwa fünfzig Institutsmitglieder nahmen an dieser vornehmlich zeremoniellen Zusammenkunft teil. Neunundvierzig von diesen hopsten die durchleuchteten Stufen auf und ab, holten allerlei Zeug aus ihren Supermarkttaschen und warfen einander damit.
    „Verdammt!“ schrie Grimdahl, „es ist mein Ernst!“ Der Ozeanologe warf den Kopf zur Seite, und eine Kohlrübe flog dicht an seinem Ohr vorbei.
    „Gleichfalls!“ Der anonyme Zuruf verkörperte die ganze Katharsis des ersten wahren Frühlingstages.
    „Aber ich reiche offiziell Beschwerde ein!“
    Die Cynocistin Loaie wirbelte an ihm vorbei; ihr gestreiftes Haar stand ihr wie ein Fächer um den Kopf. „Wir auch, wenn Sie immer nur wie eine ausgestopfte Spinne hier herumstehen und nicht mitfeiern!“
    „Leaf, wollen Sie nicht irgend etwas unternehmen?“ wandte sich Grimdahl an den knüppeldürren Mann, den zukünftigen Konrektor des Instituts.
    „Gewiß doch, Grimdahl“, grinste Leaf, holte aus und warf. Die überreife Melone zerpladderte an Grimdahls optischen Sensoren, und momentweise sah er die Welt durch einen gekörnten Gelbfilter.
    „Leaf!“ Grimdahl sprang zu und nahm Leaf in seinen unwiderstehlich metallfleischernen Griff. Drei Meter über dem harten Fußboden der Halle ließ er den Konrektor, Kopf nach unten, baumeln.
    „Lassen Sie mich herunter“, sagte Leaf milde.
    Grimdahl faßte mit seinen Extensipoden noch stärker zu, so daß Leafs Atem pfeifend aus dem Thorax fuhr.
    „Was fällt Ihnen ein, Grimdahl? Sie sind größer als er!“
    „Lassen Sie ihn sofort herunter!“
    „Immer dasselbe“, sagte jemand angewidert, „sobald einer Metallfleisch bekommt, wird er brutal.“
    „Es ist doch Frühling, Grimdahl! Was wollen Sie denn? Verderben Sie uns doch nicht die Stimmung!“
    Aus seiner umgedrehten und unbequemen Lage erklärte Leaf: „Er will etwas sagen. Er will eine Beschwerde einreichen. Nicht wahr, Grimdahl? Lassen Sie mich herunter, wir werden Sie anhören.“
    „Ehrlich?“ fragte Grimdahl.
    „Ehrlich.“
    Grimdahl ließ den Kleineren vorsichtig auf die Stufen hinunter und öffnete seine Extensipoden. Schwer atmend setzte Leaf sich hin und betastete vorsichtig prüfend seine Rippen. Unter den Umstehenden erhob sich ein mitfühlendes Gemurmel. Luaie, deren Hände sensitiver waren als die seinen, kniete sich neben ihn und übernahm die Untersuchung.
    „Ist Ihnen was passiert, Leaf?“ fragte der Eklektizist Timnath Obregon und drängte sich in die erste Reihe der Umstehenden.
    Ungläubig drehte Grimdahl sich um. „Ihm? Ob ihm was passiert ist? Sie haben die Frechheit und erkundigen sich nach seinem Wohlbefinden, nachdem Sie so kaltschnäuzig zu erkennen gegeben haben, wie gleichgültig Ihnen mein Wohlbefinden ist?“ Grimdahls Stimme wurde immer schriller vor Unwillen.
    Obregon blickte flüchtig zu dem Meereskundler auf. „Ich habe nicht die leiseste Idee, wovon Sie überhaupt reden.“ Er wandte sich wieder Leaf zu. „Soll ich Terminex informieren, damit er eine Therapie vorbereitet?“
    Leaf schüttelte den Kopf. „Es tut weh, aber ich glaube nicht, daß etwas gebrochen ist.“ Ärgerlich sah er Grimdahl an. „Sie wollten ein Erklärung abgeben. Wir hören – also sprechen Sie!“
    Grimdahl konnte seinen Zorn nicht zügeln. Mit zwei Extensipoden zeigte er auf Obregon. „Der da! Dieses Ungeheuer, dieser Mörder! Ist jemand unter Ihnen, der seine mörderischen, ruchlosen Aktivitäten gutheißen kann?“
    Obregon wechselte Blicke mit den Umstehenden und schüttelte den Kopf.
    „Ich glaube, Sie sind außer sich“, sagte Leaf. „Bitte beruhigen Sie sich. Mit solchen Unverständlichkeiten erreichen Sie gar nichts.“
    Pfeifend fuhr die Luft aus Grimdahls Atemventilen. „Mord!“ kreischte er, „ja, schnöder Mord! Das schändlichste Verbrechen!“
    „Mord?“ wiederholte Leaf. „Und wer ist ermordet worden?“
    „Iiich!“ kreischte Grimdahl.
    „Sie machen aber einen ganz lebendigen Eindruck.“
    „Damit wäre diese Anklage gegen mich erledigt, würde ich sagen“, warf Obregon ein und wandte sich ab. Mehrere taten es ihm gleich.
    „Halt!“ befahl Leaf. „Ich glaube, Kollege Grimdahl hat noch mehr dazu zu sagen.“
    Der Ozeanologe schwenkte seine freien Extensopoden klick-klick-wschsch durch die frische Morgenluft.

Weitere Kostenlose Bücher