Eine Stadt names Cinnabar

Und mit einer ungeheuren Anstrengung zwang er sich zur Ruhe. „Kollegen“, begann er, „jawohl, das Opfer bin ich. Zwar stehe ich hier lebend vor Ihnen, aber nur dank der Unfähigkeit des Mörders.“
    Lächelnd wandte sich Obregon dem Ankläger zu. „Wäre nicht die Bezeichnung Mordversuch treffender, wenn etwas dergleichen schon in Frage kommt?“
    Grimdahl ignorierte den Eklektizisten und fuhr fort: „Es ist weithin bekannt, daß mir Timnath Obregon seit langem meine erfolgreichen Forschungen auf dem Gebiet der Resurrektronik neidet. Bekanntlich …“
    Obregon räusperte sich krachend.
    „… bekanntlich haßt mich Obregon, weil ich ihm voraus bin in den Pionierarbeiten an …“
    „Bitte, Grimdahl!“ unterbrach ihn Leaf, „nicht nur Ihre Taktik, sondern auch Ihre Rhetorik fängt an, langweilig zu werden. Können Sie Ihre Beschwerde, wenn Sie überhaupt eine haben, nicht etwas mehr spezifizieren? Andernfalls …“
    Grimdahl faltete seine beiden Sätze Extensipoden. „Den meisten von Ihnen ist zweifellos mein neuestes Projekt auf dem Gebiet der Resurrektronik bekannt, speziell der Resurrektronik des Belemnoiden, des Urahnen der Sepia.“ Die Zuhörer reagierten nicht; Grimdahl überging die rhetorische Pause und sprach weiter. „Ich habe eine Kultur resurrektronischer Belemnoiden angelegt – und habe schließlich den unerhörten Erfolg zu buchen, daß ich ihre genetische Struktur genau reduplizieren konnte – in unterseeischen Zuchtbeeten vor der Nordspitze.“
    „Faszinierend!“ rief Obregon aus, und Grimdahl starrte ihn wütend an. „Mein voller Ernst“, beteuerte der Eklektizist, „ich habe eine in etwa parallellaufende …“
    „Das habe ich gemerkt“, unterbrach Grimdahl und steigerte das Volumen seiner Sprechanlage um einige Dezibel. „Mir sind in letzter Zeit beträchtliche Diskrepanzen hinsichtlich der Vermehrung meiner Belemnoiden aufgefallen. Verluste, die darauf schließen lassen, daß ein größerer Raubfisch …“
    Kichernd verzog Luaie ihr gebräuntes Gesicht in Lächelfalten. „Beschuldigen Sie Timnath, daß er auf dem Meeresgrund herumschleicht und Ihre künstlichen Fische wildert?“
    „Jawohl“, erwiderte Grimdahl steif, „das heißt indirekt.“
    Die Umstehenden ließen ein interessiertes Murmeln hören, da Grimdahl anscheinend endlich zur Sache kam. „Weiter!“ befahl Leaf, dem die Geduld offensichtlich knapp wurde.
    „Der Raubfisch, der unter meinen Belemnoiden wütet, ist der gleiche Killerfisch, der mich selbst angegriffen hat. Und verantwortlich dafür ist Obregon, davon bin ich fest überzeugt.“
    „Lächerlich“, widersprach Luaie, „Timnath ist ein friedfertiger Mensch, der nicht einmal einer richtigen Ameise etwas zuleide tun würde, geschweige denn einer resurrektronischen Kopie.“
    „Etwas Riesiges und Bösartiges hat mich im Wasser attackiert“, beharrte Grimdahl, „und das war kein See-Snark. Es war haifischähnlich, doch größer als eine der bekannten Spezies. Ich habe noch nie einen solchen Räuber gesehen.“
    „Sie übertreiben bestimmt“, fing Luaie wieder an, „es ist lächer …“
    „Nein“, unterbrach Obregon, der offensichtlich betroffen war, „das ist keineswegs lächerlich.“
    „Aha“, triumphierte Grimdahl, „Sie geben also zu …“
    „Daß ich vorsätzlich einen Mordversuch auf Sie unternommen habe? Kaum.“
    „Was also dann …“
    „… gebe ich zu? Daß eins meiner eigenen Experimente wahrscheinlich mit Ihren Forschungen kollidiert und Sie möglicherweise in Gefahr gebracht hat. Und für beides bitte ich Sie herzlich um Entschuldigung.“
    Grimdahls Körper zitterte, und es klang fast hysterisch, als er antwortete: „Fünf meiner Extensipoden weg! Abgebissen, weggerissen! Ich hätte dort draußen umkommen können – ersaufen wie irgendein Viehzeug. Und Sie bitten um Entschuldigung!“
    Nachdenklich, fast abwesend murmelte Obregon: „Ich hätte mir nie träumen lassen, daß Sidhe …“
    „Sie …?“ unterbrach Grimdahl, „von wem reden Sie eigentlich?“
    „Sidhe – S-i-d-h-e“, entgegnete Obregon. „Irgendwie muß sie aus ihrem pelagischen Programm ausgebrochen sein.“
    „Wer ist Sidhe? Was ist Sidhe?“ fragte Grimdahl.
    „Seit mehr als hundert Jahren mein besonderer Liebling“, erläuterte Obregon fast träumerisch. „Sie ist die Frucht einer Forschungsexpedition in das STADT ZENTRUM, der Schlußstein von 200000000 Jahren retrogenetischer Devolution.“
    „Ein Killer!“ stieß der Meereskundler