Eine Stadt wie Alice
unterbrach: «Woran ist Donald gestorben, Mr. Strachan?»
Ich zögerte mit der Antwort. «Cholera»,
sagte ich schließlich mit Widerstreben.
Sie nickte, als habe sie etwas
Derartiges erwartet. «Der arme, gute Junge», flüsterte sie. «Das ist kein schöner
Tod.»
Um ihren Schmerz zu lindern, sagte ich:
«Ich habe den Arzt gesprochen, der ihn bis zuletzt behandelt hat. Ihr Bruder
ist friedlich entschlafen...»
«Dann war’s keine Cholera.» Sie sah
mich scharf an. «An Cholera stirbt man nicht friedlich.»
Ich saß etwas hilflos da. Ich wollte
ihr doch nur unnötigen Kummer ersparen. «Er hatte vorher Cholera und hat sich
dann wieder erholt. Die unmittelbare Ursache war wohl das Herz; es war durch
die Cholera angegriffen.»
Die Schwester dachte kurz nach und
fragte dann: «Hat ihm sonst noch etwas gefehlt?»
Da blieb mir denn nichts anderes übrig,
als ihr alles zu erzählen, was ich wußte. Die Sachlichkeit, mit der sie die
unerquicklichen Einzelheiten aufnahm, und ihre Kenntnisse über die Behandlung
von Dingen wie tropische Geschwüre setzten mich in Erstaunen, bis ich mich
daran erinnerte, daß sie ja, ähnlich wie ihr Bruder, in Malaya gelebt hatte.
«Ein Unglück», kam es gelassen aus
ihrem Munde, «daß das tropische Geschwür nicht früher zum Ausbruch kam. Nach
der Amputation hätten sie ihn vom Lager der Eisenbahner wegschaffen müssen;
dann hätte er wahrscheinlich keine Gehirnmalaria und Cholera bekommen.»
«Er muß eine starke Konstitution gehabt
haben, daß er das alles überstehen konnte!» sagte ich.
«Die hatte er nicht», erklärte Miss
Paget bestimmt. «Donald hat immer mit Husten und Schnupfen zu tun gehabt und
allen möglichen Kinderkrankheiten. Aber eines hatte er immer: gute Laune, einen
wunderbaren Humor... Nur deshalb, habe ich immer gedacht, wird er die
Gefangenschaft überstehen. Was ihm auch immer geschah, er nahm es als Spaß.»
Zu meiner Zeit wußten junge Damen noch
nichts von Cholera und tropischen Geschwüren; ich fühlte mich daher unsicher
und lenkte unser Gespräch auf juristische Dinge; da hatte ich wenigstens Boden
unter den Füßen. Ich zeigte ihr, zum Teil an Hand von Dokumenten, daß die
Erbschaftsangelegenheit auf bestem Wege sei, und bald waren wir auf dem Wege
zum Klub.
Ich hatte an diesem unserem ersten
Abend genügend Veranlassung, mit Miss Paget zu reden. Ich war darauf gefaßt,
mich im Laufe der kommenden Jahre des öfteren mit ihr und ihren Wünschen,
vielleicht auch Launen, befassen zu müssen, und hielt es daher für
erforderlich, sie möglichst genau zu kennen. Vorläufig wußte ich nicht das
geringste von ihrer Vergangenheit und ihrer Ausbildung. Sonst hätten mich ihre
eben geäußerten Kenntnisse tropischer Krankheiten nicht so verwirrt. Ich
gedachte, ihr nun ein recht gutes Dinner vorzusetzen und etwas Wein, und
hoffte, sie werde mir dann einiges von sich selbst erzählen. Wenn ich erst
wüßte, wofür sie besonderes Interesse und Begabung hätte, würde dies mein Amt
als Treuhänder wesentlich erleichtern. Im Lady-Annex meines Klubs konnten wir
in aller Ruhe speisen; ich konnte ihr auf den Zahn fühlen, und keine Musik, kein
Lärm störte unsere Unterhaltung. Im lauten, unruhigen Getriebe eines
Restaurants werde ich leicht müde und kann nicht recht zuhören.
Ich zeigte ihr, wo sie sich etwas
zurechtmachen konnte; sie kam ja gerade aus dem Büro. Inzwischen bestellte ich
Sherry, und als sie den Salon betrat, stand ich auf, bot ihr Zigaretten an und
gab ihr Feuer.
«Wie haben Sie Ihr Weekend verbracht?»
fragte ich, während wir Platz nahmen. «Haben Sie das Ereignis gefeiert?»
Sie schüttelte den Kopf. «Ich war für
Samstag mit einem Mädchen aus unserem Büro verabredet: wir wollten miteinander
essen und dann den neuen Bette-Davis-Film im ‹Curzon› ansehen. Das haben wir
getan; das war alles.»
«Haben Sie der Freundin von Ihrem Glück
erzählt?»
Wiederum schüttelte sie den Kopf.
«Niemandem!»
Sie nippte von ihrem Sherry. Ihre
Haltung und ihre Bewegungen, auch wie sie die Zigarette hielt, machten einen
angenehmen und kultivierten Eindruck.
«Die ganze Geschichte klingt ja zu
unwahrscheinlich. Ich glaube selbst noch nicht recht daran.» Sie lachte.
Ich lachte mit und bemerkte: «Nichts
ist wahrscheinlich — bis es geschieht. Wenn Sie von uns den ersten Scheck
bekommen, werden Sie hoffentlich glauben, daß es wahr ist. Bis dahin haben Sie
vollkommen recht, wenn Sie nicht darauf bauen.»
«Ich tu’s auch nicht. Nur
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