Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Stadt wie Alice

Eine Stadt wie Alice

Titel: Eine Stadt wie Alice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neville Shute
Vom Netzwerk:
eines»,
meinte sie, «gibt mir eine gewisse Zuversicht: Wenn es nicht wahr wäre, würden
Sie bestimmt nicht so viel Zeit auf meine Angelegenheiten verwenden.»
    «Sehr logisch!» lobte ich und fragte
nach kurzer Pause: «Haben Sie schon daran gedacht, was Sie in einem bis zwei
Monaten, wenn Ihr Einkommen aus der Erbschaft zu fließen beginnt, anfangen
werden? Ihr monatlicher Scheck nach Abzug aller Steuern beträgt rund
fünfundsiebzig Pfund. Sie werden dann Ihre gegenwärtige Stelle vermutlich nicht
mehr beibehalten wollen?»
    Ihr Blick folgte dem aufsteigenden
Rauch ihrer Zigarette, während sie antwortete: «Arbeiten will ich auf alle
Fälle. Es würde mir auch nichts ausmachen, bei Peck & Levy zu bleiben,
wenn’s eine Arbeit wäre, die der Mühe wert ist. Das ist’s aber nicht. Wir
fabrizieren Damenschuhe und Handtaschen, schmucke Etuis, hochelegante
Aktentaschen und ausgeklügelte Necessaires aus feinstem Luxusleder. Blöde
Weiber mit mehr Geld als Verstand kaufen dann das Zeug in der Bond Street für
teures Geld. Wenn man sich seinen Unterhalt verdienen muß, ist es ja gut, in
einem solchen Unternehmen zu arbeiten; es ist auch interessant, eine Branche
durch und durch kennenzulernen.»
    «Fast jede Branche ist interessant,
wenn man sich darin umsieht», warf ich ein.
    Sie bestätigte: «Ja, das ist wahr. Ich
war auch gern dort. Aber mit all dem Geld, das ich jetzt bekommen soll, möchte
ich nicht so weitermachen. Es müßte etwas sein, das sich lohnt und einen Sinn
hat. Ich weiß bloß nicht was!» Sie nahm ein Schlückchen Sherry. «Einen
eigentlichen Beruf habe ich nie erlernt, bloß Steno, Schreibmaschine und
Buchhaltung für den Hausgebrauch. Mir fehlt jede richtige Ausbildung; ich habe
auch nie ein Examen bestanden.»
    «Liebe Miss Paget... darf ich mir eine
etwas persönliche Frage erlauben?»
    «Bitte!»
    «Halten Sie es nicht für
wahrscheinlich, daß Sie in absehbarer Zeit heiraten?»
    Sie lächelte. «Nein, Mr. Strachan, ich
halte es nicht einmal für wahrscheinlich, daß ich überhaupt heiraten werde.
Gewiß weiß man so etwas ja nie, aber ich denke es mir.»
    Ich nickte, auf weiteren Kommentar
verzichtend. «Also haben Sie wohl an einen Universitätskurs gedacht?»
    Miss Paget machte große Augen. «Nein!
Keine Spur, Mr. Strachan. Dazu bin ich nicht gescheit genug. In der Schule war
ich immer nur bei den Mittleren; ich bin nicht einmal bis in die Sechste
gekommen. Universität? Kein Gedanke!»
    «Es war ja nur eine Idee», beruhigte
ich, «ich dachte, es könnte Sie vielleicht verlocken.»
    «Ich will nicht mehr die Schulbank
drücken; dazu bin ich viel zu alt.»
    Ich mußte lachen. «Etwas Jüngeres gibt
es kaum!» Aber mein Kompliment verfehlte die Wirkung. Sonderbar!
    «Wenn ich mich mit den Mädchen in
unserem Büro vergleiche», versetzte sie ruhig, ohne im mindesten in mein Lachen
einzustimmen, «dann weiß ich: ich bin an die Siebzig...»
     
    Da war ich auf etwas gestoßen.
Vorsicht! Nichts überstürzen! Ich schlug meiner Dame vor, zum Dinner zu gehen,
und nachdem das Menü bestellt war, bat ich sie: «Bitte, erzählen Sie mir, was
Ihnen im Krieg geschehen ist! Sie waren in Malaya?»
    «Ich war im Büro der
Kuala-Perak-Plantagengesellschaft, bei der mein Vater und Donald gearbeitet
haben», versetzte sie kurz.
    «Und was ist mit Ihnen im Krieg
geschehen?» wiederholte ich meine Frage. «Sie waren gefangen?»
    «Ungefähr.»
    «In einem Camp?»
    «Nein. Man hat uns hübsch im Freien
umherlaufen lassen. Was war denn mit Ihnen im Krieg, Mr. Strachan?» lenkte sie
ab. «Waren Sie die ganze Zeit in London?»
    Wenn sie nicht reden mochte — ich
wollte sie nicht drängen, mir ihre Erlebnisse anzuvertrauen, und ich erzählte
ihr daher die meinen, kam dadurch ganz von selbst auf meine beiden Söhne zu
sprechen, auf Harrys U-Boot-Stützpunkt und auf Martin in Basra, auf ihre
Auszeichnungen, ihre Frauen und Kinder. «Ich bin schon dreifacher Großvater»,
gestand ich, «und ein viertes ist, glaube ich, unterwegs.»
    Nun lachte sie wieder. «Wie fühlen Sie
sich als Großpapa?»
    «Genau wie vorher. Man fühlt im Alter
nicht anders. Man ist nur nicht mehr so leistungsfähig», sagte ich, aber dann
lenkte ich das Gespräch wieder auf ihre Angelegenheiten und erklärte ihr, was
sie sich mit neunhundert Pfund im Jahr alles leisten könne: zum Beispiel ein
Häuschen in Devonshire, einen Wagen, eine Bedienung, und dann bleibe ihr noch
immer genug, um gelegentlich eine Reise ins Ausland zu

Weitere Kostenlose Bücher