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Eine Stadt wie Alice

Eine Stadt wie Alice

Titel: Eine Stadt wie Alice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neville Shute
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vor. Ich
weiß zwar nun eine Menge von der Malaiischen Halbinsel, aber was nützt mir das
hier in England?»
    «Ob die Jahre vergeudet waren»,
bemerkte ich, «können Sie erst wissen, wenn Ihr Leben zu Ende geht. Vielleicht
nicht einmal dann.»
    «Da mögen Sie recht haben.» Sie nahm
den Schürhaken, kratzte, in Gedanken versunken, vom Kamingitter Asche herunter.
Dann wurden ihre Gedanken laut: «Die Leute waren unglaublich nett zu uns... Sie
hätten nicht netter sein können, ich meine: auf ihre Art und im Rahmen dessen,
was ihnen zu Gebote stand. Das junge Mädchen, das uns auf den Reisfeldern
angelernt hat, die Fatimah, war ein Engel. Ich lernte sie sehr gut kennen...»
    «Kuala Telang... Dorthin wollen Sie?»
    Sie nickte. «Ich möchte etwas für sie
tun, wo ich Geld habe. Wir haben drei Jahre bei ihnen gelebt, und sie haben
alles für uns getan. Wir wären ja alle gestorben, bevor der Krieg aus war, wenn
sie uns nicht bei sich aufgenommen hätten. Und jetzt habe ich so viel und sie
so bitter wenig...»
    «Na, so viel haben Sie nun wieder
nicht», gab ich zu bedenken. «Noch nicht! Eine Reise nach Malaya ist immerhin
eine kostspielige Sache.»
    Sie lächelte. Ich weiß. Was ich für sie
tun will, wird nicht gar so teuer sein — fünfzig Pfund, vielleicht nicht
einmal! Wissen Sie: Wir mußten nämlich das Wasser ins Dorf tragen; das gehört
zur Arbeit der Frauen und ist eine schreckliche Last. Das Flußwasser nämlich
ist dort an der Mündung salzig, weil die Flut immer hineinschlägt; man kann
zwar sich und die Kleider drin waschen, aber Trinkwasser muß man aus einer
Quelle holen, und die ist eine ganze Meile weit weg. Wir haben es immer in
Kürbissen getragen, mit jeder Hand zwei an einem Stock, morgens und abends —
vier Meilen am Tag. Fatimah und die andern Mädchen denken sich nichts dabei; so
war es ja immer, seit Generationen.»
    «Und deshalb wollen Sie einen Brunnen
graben?»
    «Ja. So könnte ich etwas für sie tun,
für die Frauen — etwas, das ihnen das Leben erleichtert, so wie sie uns Frauen
das Leben erleichtert haben. Einen Brunnen mitten im Dorf, zu dem es von keinem
Haus mehr als zweihundert Schritte sind, das brauchen sie. Ich bin sicher, er
muß nicht tiefer sein als zehn Fuß; die Gegend hat ja viel Wasser. Der
Grundwasserspiegel kann nicht tiefer als zehn Fuß sein, höchstens fünfzehn, und
da habe ich mir gedacht, wenn ich hingehe und biete ihnen an, ich werde tüchtige
Brunnengräber engagieren, das wäre doch schön! Dann könnte ich mich mit gutem
Gewissen über die Erbschaft freuen.» Wieder blickte sie zu mir empor. «Halten
Sie es für albern?»
    «Nein», sagte ich, «durchaus nicht.
Wenn es nur nicht so schrecklich weit weg wäre! Die Reise hin und zurück wird
ein gehöriges Loch in Ihr Jahreseinkommen reißen.»
    «Das weiß ich. Aber wenn mir das Geld
ausgeht, nehme ich in Singapore oder sonstwo eine Stellung an — für ein paar
Monate nur — so lange, bis sich wieder genug angesammelt hat.»
    «Apropos! Warum sind Sie nach
Kriegsende denn nicht dort unten geblieben? Sie als Landeskundige...?»
    «Ich hatte eine Aversion dagegen,
damals. Und wir hatten alle solche Sehnsucht nach England. Zum Flughafen in
Kota Bahru brachte man uns in drei Lastwagen und flog uns in einer ‹Dakota›
nach Singapore. Die ‹Dakota› war mit Australiern bemannt... In Singapore, wo
wir sehr lange Aufenthalt hatten, habe ich Bill Holland wiedergesehen. Er hat
sofort nach seiner Familie gefragt, nach Eileen, nach Freddie, nach Jane... Und
ich habe es ihm sagen müssen. Tot...die ganze Familie außer dem kleinen Robin.
Der war damals vier, ein strammes Kerlchen. Ich flog mit Bill und Robin nach
Hause. Ich war für das Bübchen die Mutter.» Sie lächelte leicht. «Bill wollte
daraus etwas Bleibendes machen. Aber das ging nicht. Ich konnt’s einfach nicht.
Ich wäre auch gar nicht die Frau gewesen, die der Mann braucht.»
    Ich schwieg.
    «Als wir landeten, war England so grün
und so schön... Ich wollte vergessen, den Krieg, den Osten; ich wollte wieder
ein normaler Mensch werden und nahm die Stelle bei Peck & Levy an. Da
bin ich jetzt seit zwei Jahren. Damen-Handtaschen, Reisenecessaires,
wildlederne Aktentaschen, krokodillederne Schuhe haben Gott sei Dank keine
Beziehung zu Krankheit und Krieg und dem Tod. Alles in allem habe ich mich bei
der Firma recht wohl gefühlt.»
    Aber als sie damals wieder in England,
der heißersehnten Heimat ankam, war sie sehr einsam gewesen. Gleich bei

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