Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Stadt wie Alice

Eine Stadt wie Alice

Titel: Eine Stadt wie Alice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neville Shute
Vom Netzwerk:
der
Ankunft in Singapore hatte sie ihrer Mutter telegrafiert, und bei dem langen
Aufenthalt dort erreichte sie noch die Rückantwort. Die aber kam von Tante
Agathe aus Colwyn Bay und enthielt die Nachricht vom Tode ihrer Mutter. Und
noch ehe sie Singapore verließ, erfuhr sie, daß auch Donald, ihr Bruder, gestorben
war. An der Burma-Siam-Bahn. Zwar hatte sie ihre Freiheit wieder erlangt, aber
sie stand allein, sehr allein in der Welt. Es schien mir ein Zeichen großer
Charakterstärke, daß sie zu jener Zeit einen Heiratsantrag abgelehnt hatte.
Nach ihrer Landung in Liverpool blieb sie einige Wochen bei Tante Agathe in
Colwyn Bay und fuhr dann nach London auf Stellungssuche.
    Ich fragte sie, warum sie damals nicht
ihrem Onkel, dem alten Herrn in Ayr, geschrieben oder telegrafiert habe, und
sie antwortete:
    «Aufrichtig! Ich hatte ihn ganz
vergessen, oder wenn ich mich seiner erinnert habe, nahm ich an, er sei tot.
Ich habe ihn ja auch nur einmal gesehen, als ich elf Jahre alt war; und schon
damals sah er aus wie gestorben. Daß er noch am Leben sein könnte, ist mir nie
in den Sinn gekommen. Mutters Vermögen war aufgezehrt; auch von Briefschaften
war kaum etwas da; das meiste war im Haus in Southampton-Bassett zerbombt
worden. Selbst wenn ich an Onkel Douglas gedacht hätte, ich hätte nicht einmal
gewußt, wo er wohnt...»
    Noch immer regnete es in Strömen. Wir
beschlossen, alle Ausgehpläne fallenzulassen und bei mir Tee zu trinken. Miss
Paget ging auch sogleich in die Küche und setzte das Wasser auf, während ich
den Teetisch deckte und Brote zurechtmachte. Als sie mit dem Tablett hereinkam,
fragte ich, wann sie nach Malaya zu fahren gedenke.
    «Ende Mai», sagte sie. «So lange will
ich noch bei Peck & Levy bleiben; es sind noch sechs Wochen. Bis dahin
habe ich auch genug beisammen, um Hin- und Rückreise zu bezahlen. Außerdem habe
ich noch etwa achtzig Pfund, die ich mir von meinem Gehalt in den zwei Jahren
erspart habe.»
    Sie hatte sich bereits über
Reisemöglichkeiten und Fahrpreise orientiert und eine Frachtdampferlinie nach
Singapore ermittelt, die zu verhältnismäßig bescheidenem Preis jeweils etwa ein
Dutzend Passagiere an Bord nahm. Von dort wollte sie nach Kota Bahru fliegen.
    «Die Malayan Airways fliegen via
Kuantan nach Kota Bahru. Wie ich von dort nach Kuala Telang komme, weiß ich
noch nicht. Irgend etwas wird sich schon finden.»
    ‹Sie ist imstande und geht wieder zu
Fuß›, dachte ich; ‹so eine Wanderung durch das dickste Malaya ist heute für sie
ein Katzensprung, scheint’s.›
    Ich schlug meinen großen Atlas auf und
meinte, wenn sie das Flugzeug in Kuantan verließe, wäre der Weg vielleicht
kürzer.
    «Mag sein, aber ich könnte es nicht
ertragen, noch einmal dorthin zurückzukehren.»
    Aus dem Ton ihrer Stimme klang Trauer,
und um sie abzulenken, bemerkte ich obenhin: «Wie Sie diese malaiischen
Ortsnamen alle behalten haben! Daran müßte ich jahrelang lernen.»
    «Wenn man weiß, was sie bedeuten, gibt
es nichts Einfacheres!» sagte sie eifrig. «Es sind beinah die gleichen Namen
wie bei uns in England: Bahru heißt ‹Neu› und Kota soviel wie ‹Kastell›. Kota
Bahru ist also das malaiische Newcastle.»
    Sie ging wieder ihrer gewohnten
Tätigkeit in Perivale und ich der meinen am Chancery Lane nach, aber ihre
Geschichte ging mir nicht aus dem Kopf.
    Wir hatten in unserem Klub einen Herrn
namens Wright, der ehedem britischer Polizeioffizier in Malaya und während der
japanischen Okkupation in einem Gefangenenlager gewesen war, wenn ich nicht
irre, in Changi Gaol. Eines Abends saß ich beim Dinner neben ihm und konnte der
Versuchung nicht widerstehen, ihn etwas auszuhorchen.
    «Ich habe eine Klientin», begann ich, «die
hat mir neulich eine ganz ungewöhnliche Geschichte aus Malaya erzählt. Sie
gehörte zu einem Trupp von Frauen, denen die Japaner die Aufnahme in ein
Frauencamp verweigerten.»
    Mr. Wright ließ sein Besteck sinken.
«Doch nicht die Gesellschaft, die in Panong gefangen wurde und quer durch
Malaya marschiert ist?»
    «Eben die! Wissen Sie etwas von ihr?»
    «O ja, Mr. Strachan! Das war allerdings
eine ganz ungewöhnliche Geschichte, wie Sie richtig bemerken! Von Ort zu Ort
wurden sie von den Japanern getrieben, bis sie endlich in irgendeinem Nest an
der Ostküste Fuß fassen und bis Kriegsende bleiben konnten, und dies alles
unter Führung eines fabelhaften Mädchens, das fließend Malaiisch sprach; dabei
war sie gar nichts Besonderes, eine ganz einfache

Weitere Kostenlose Bücher