Eine stuermische Braut
hatte, diese, wenn auch nur zeitweilig, vergessen konnte - und im hintersten Winkel seines Hirns wusste er genau, dass dies die Ursache seiner Empfindung war.
Während er schweigend, mit zurückgeschlagenem Umhang, die Hände in den Hosentaschen und gesenktem Kopf neben ihr schritt, wollte Linnet sich beglückwünschen, dass sie ihn so erfolgreich abgewiesen hatte. Doch sein fortgesetztes Schweigen nagte an ihr. Fast so, als hätte sie einen Tiefschlag gelandet.
Vermutlich habe ich das auch, dachte sie.
Ihr war aufgefallen, wie gut er mit den Burschen umgegangen war. Obwohl sie ihn erst seit einem Tag kannten, hatten sie sofort Vertrauen zu ihm gefasst. Das mochte nicht unbedingt überraschend sein, denn sogar mit Kopfverband bot er einen beeindruckenden Anblick, was an dieser merkwürdigen Aura der Gefahr liegen mochte, die ihn umschwebte und beinahe so greifbar war wie der alte Umhang ihres Vaters. Die Mädchen verhielten sich normalerweise zurückhaltender. Aber selbst die sonst eher stille Jen hatte gelächelt und mit ihm geplaudert, als ob sie ihn schon seit Monaten, wenn nicht seit Jahren kannte.
Und er war aufmerksam gewesen und hatte sich ehrlich engagiert, dabei aber seine natürliche Autorität nie infrage gestellt. Zum Beispiel hatte er Gilly gehindert, zu hoch auf einen Zaun zu klettern.
»Nein. Runter da«, hatte er schlicht gesagt.
Der Befehl war vollkommen eindeutig gewesen. Er hatte erwartet, dass man ihm gehorchte - und so war es auch geschehen.
Vor allem dieser Augenblick hatte ihr zu denken gegeben. Sie wusste alles, was es über Befehl und Gehorsam zu wissen gab, und sie schätzte es sehr, nein, sie beharrte sogar darauf, dass sie diejenige war, die die Zügel fest in der Hand hielt.
Logan - wer auch immer er sein mochte - war der geborene Anführer. Und jetzt, wo sie anfing, darauf zu achten, konnte sie die verräterischen Anzeichen auch deuten. Sämtliche Instinkte verrieten ihr, dass sie sich weder vor seiner Größe noch vor seiner Kraft in Acht zu nehmen brauchte. In Persönlichkeit und Charakter waren sie einander einfach zu ähnlich. Sofern sie ihm auch nur den geringsten Grund gab, war es nicht nur seine Pflicht, sondern sogar sein Recht, sie zu beschützen - und deshalb allen Menschen Befehle zu erteilen, von denen er annahm, dass sie ihm auch gehorchen würden - und das wiederum würde nur in Kämpfen enden, in Kämpfen, die er natürlich nicht gewinnen würde. Trotzdem konnte sie solche Zusammenstöße in ihrem Leben nicht gebrauchen.
Sie brauchte und wollte keinen Mann in ihrer Nähe, der erwartete, sie beherrschen zu können, sie seinem Willen zu unterwerfen.
Ganz besonders dann nicht, wenn es ihm auch noch gelingen könnte.
Der vernünftige Teil von ihr erwachte zu neuer Kraft. Trotz ihrer Unverfrorenheit, so viele Nächte wie möglich in seinen Armen verbringen zu wollen, übertrumpfte ihr Selbsterhaltungstrieb ihr neu entdecktes Verlangen nach sexueller Befriedigung.
Das Ergebnis war ihre instinktive und, wie es schien, perfekt abgemessene Ablenkung.
Sie warf ihm einen Blick zu, sah, dass er immer noch grübelte und in sich versunken war. Sich einen Hauch schuldig fühlte.
Aber immerhin hatte sie Zeit gehabt, ihren Herzschlag zu beruhigen. Eine Sekunde lang hatte er unübliche Panik in ihr geweckt, aber darüber war sie jetzt hinweg. Ganz gleich, welchen Verdacht er wohl hegen mochte, wissen konnte er nichts - jedenfalls nicht mit vollkommener Sicherheit. Bis sie es ihm erzählte oder sich irgendwie verriet, konnte er nicht sicher sein, dass er sie in der vergangenen Nacht zum Schluchzen und zum Stöhnen gebracht hatte.
Im Schlepptau der Mädchen kehrten sie in das Haus zurück. Wieder schaute sie ihn an, als sie die Umhänge in der Halle aufhängten.
Er war immer noch in sich versunken. Seine Miene war düster.
Sie ergriff die Gelegenheit beim Schopf, ihn zu beobachten - noch einmal eingehend zu mustern, die Sinne all das an ihren Verstand melden zu lassen, was sie nur erfassen konnten.
Und das, was sie sah, ließ sie erzittern.
Abrupt wandte sie sich ab und ging voran ins Wohnzimmer.
Er - wer oder was auch immer er war - war zu groß, zu stark, zu mächtig, zu männlich und alles in allem viel zu gebieterisch. Und während in der Aussicht auf eine wilde Affäre mit einem solchen Mann zweifellos eine Herausforderung lag, würde jede kluge Frau sicheren Abstand wahren.
Und wenn sie so bewegt war wie in diesem Moment, konnte sie sehr, sehr klug sein.
3
Mit
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