Eine Stuermische Nacht
schwarzes Haar die Wunde zum Großteil verdeckte, sodass sie sie nicht genau sehen konnte. Ihr Herz bebte. Die Verletzung war schwer, aber wenn die Kugel nur einen Zoll oder zwei tiefer …
Mit zitternden Fingern streichelte sie seine schmalen Wangen und den breiten Mund. Dieser Mann, dieser Fremde, konnte sie so leicht in Rage bringen und ebenso leicht zum Lachen. Und mit einer Verzweiflung, die sie überraschte, wollte sie, dass er aufwachte und sie neckte und aufzog. Bis zu diesem Moment hatte sie gar nicht bemerkt, wie sehr sie sich darauf freute, ihn zu sehen – selbst wenn er sie bis zur Weißglut reizte! Lord Joslyn war irgendwie, gestand sie sich beinahe benommen ein, nahezu lebenswichtig für sie geworden.
Sie drängte die Tränen und das Entsetzen zurück, beugte sich vor und zischte ihm ins Ohr: »Wagen Sie es nicht, mir hier wegzusterben! Das würde ich Ihnen niemals verzeihen.« Sie rüttelte ihn an der Schulter.
»Hören Sie mich? Wagen Sie es ja nicht zu sterben!«
Er blieb reglos liegen, und – da sie sich albern vorkam – hob sie den Kopf und begann wieder das Blut aufzutupfen, das immer noch aus der Wunde sickerte. Allerdings schien die Blutung allmählich nachzulassen, was sie als gutes Zeichen wertete.
Besorgt schaute sie die Straße entlang, erst in die eine, dann in die andere Richtung. Ihr Herz machte fast einen Satz, als sie tatsächlich einen Reiter auf sich zukommen sah. Mit einer einzigen Bewegung kam sie auf die Füße, raffte die Röcke ihres Reitkostüms und rannte auf der Straße dem Reiter entgegen.
Obwohl er immer noch ein gutes Stück von ihr entfernt war, rief sie:
»Sir! Bitte, beeilen Sie sich. Ich bitte Sie, uns zu helfen. Lord Joslyn ist angeschossen worden. Bitte kommen Sie schnell.«
Der Mann schien ihre Worte zu hören, weil er sogleich reagierte, sein Pferd zum Galopp antrieb und Emily beinahe umgeritten hätte, so eilig hatte er es. Emily wirbelte herum, als er an ihr vorüber war, und verfolgte verwundert, wie der Mann von seinem Pferd sprang und sich neben Lord Joslyn kniete.
»Verdammt, Barnaby, ich habe dich doch gewarnt, vorsichtig zu sein«, hielt ihm der Neuankömmling vor, während er mit kundigen Fingern die Wunde untersuchte.
»Aber hörst du auf mich? Oh, nein. Jemand könnte versuchen, dich umzubringen, aber du musst alles so machen, wie du es dir in deinem sturen Kopf einbildest – und sieh nur, wohin zur Hölle es dich bringt. Ich hätte gut Lust, dir höchstpersönlich den Garaus zu machen.«
Seine Worte beunruhigten Emily. Gütiger Himmel! War der Mann verrückt? Wollte er am Ende Lord Joslyn etwas antun? Bereit, einzuschreiten, obwohl sie keine Ahnung hatte, was sie gegen einen kräftigen Mann wie ihn ausrichten konnte, lief sie zu Lord Joslyn zurück. Als sie jedoch sah, wie behutsam die Hände Lord Joslyns Kopf anfassten, verschwand ihre Sorge, er könnte ihm Böses wollen. Sie kniete sich neben den Fremden und schnappte nach Luft, als sie sein Gesicht sah. Seine Ähnlichkeit mit den Mitgliedern der Joslyn-Familie war verblüffend, aber er war kein Joslyn, den sie je getroffen hatte. Ihr kam der Gedanke, dass dieser große schlanke Mann mehr wie ein Joslyn aussah als Lord Joslyn selbst und dass er mühelos als Mathews, Thomas’ oder Simons Bruder durchgegangen wäre. Seine Haut war dunkler, und sein schwarzes Haar war mehr kraus als lockig, aber die markanten leuchtend blauen Augen und die fein gezeichneten Züge verrieten seine Joslyn-Vorfahren.
Lamb, dem ihre Reaktion nicht entgangen war, sagte fast barsch:
»Ja, ja, ich weiß, ich sehe wie die restliche Joslyn-Bande aus, aber sagen Sie mir lieber, was geschehen ist.«
Emily schluckte und berichtete knapp, was sich zugetragen hatte. Die ganze Zeit, während sie redete, untersuchte der Fremde die Verletzung; seine Hände waren flink und wirkten, als wüsste er, was er tat.
Er verlagerte sein Gewicht auf die Fersen und runzelte die Stirn.
»Ich möchte ihn ins Warme schaffen, am besten in ein Bett. Wo können wir ihn hinbringen?«
»Äh, mein Zuhause, The Birches, liegt nur eine gute Meile von hier«, erklärte Emily, etwas benommen von der Geschwindigkeit, mit der der Fremde das Kommando übernommen hatte. Zögernd fragte sie:
»Sind Sie Lamb?«
Er lächelte besonders entwaffnend, und sie blinzelte verwirrt.
»Ja, ich bin Lamb, und ich entschuldige mich für meine Unhöflichkeit. Sie sind Miss Townsend.«
»Äh … ja«, antwortete Emily, die allmählich eine Vorstellung von der
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