Eine Sünde zuviel
zufrieden zu sein. Noch zwei Tage, und das große Spiel war zwar nicht gewonnen, aber doch mit einem Teilsieg abgebrochen worden. Übermorgen früh, bevor er zum Flughafen abfuhr, würde er bei zwei Banken seine ausgefüllten Blankoschecks abheben … an diesen Tagen waren zusammen 63.865 Mark Bargeld auf den Konten. Die Mohren-Apotheke hatte nach Südamerika die Herstellung von Dahlomed, einem ungefährlichen Schmerzmittel ohne Barbitur, als Lizenz verkauft. Die Außenhandelsbank hatte angerufen und zugesagt, daß die Anzahlung des Lizenzbetrages zur Auszahlung vorliege und bis morgen auf dem Konto Dahlmanns verbucht sei.
Das Glück kommt mir entgegen, hatte Dahlmann gedacht, als er diesen Bescheid erhielt. Er erhöhte seine Beute um 20.000 Mark.
Gegen elf Uhr, fast um die gleiche Zeit, als Robert Sanden langsam durch das Verkehrsgewühl mit Luise zur Mohren-Apotheke fuhr, bestieg Ernst Dahlmann sein Auto und stellte das Radio an. Er suchte nach flotter Tanzmusik und fuhr erst an, als er sie gefunden hatte. Der Hitze wegen legte er den Sicherheitsgurt nicht um, ohne den er sonst keine Strecke Auto fuhr, selbst nicht den kleinsten Weg zur Post oder zur Bank. Er schob das Schiebedach zurück, sah in den blauen Himmel und dachte, wie schön doch das Leben sei, wenn das Herz glücklich ist. An Monika wollte er in diesem Augenblick nicht denken … jetzt, wo sie im Moor versunken war, kam ihm das alles wie ein tragischer Unglücksfall vor, den man überwinden muß, weil er ein unabwendbares Schicksal war. Damit tröstete er sich auch, ja, es war schade, nicht nach Mitleid anderer suchen zu können, denn auch ihn hatte ja das Unglück schwer getroffen. Es war eine Moralakrobatik, die Dahlmann allem Bösen entzog und sein Gewissen blank scheuerte.
Kurz vor dem Hauptbahnhof Hannover mußte Dahlmann plötzlich bremsen, weil ein sichtlich betrunkener Radfahrer einfach über die Fahrbahn torkelte, ohne nach rechts oder links zu blicken. Der Tritt auf die Bremse, das Aufkreischen der Räder und das Stillstehen des Wagens kamen so plötzlich, daß zwei hinter Dahlmann fahrende Wagen seinen Stillstand erst merkten, als sie sich beide mit aller Wucht in den Kofferraum bohrten und den stehenden Wagen vor sich herschoben.
Blech verbog und zerbarst, Scheiben klirrten, Stoßstangen schepperten über den Asphalt, einige Passanten schrien auf, der Schutzmann an der Kreuzung pfiff und rannte zu dem Autoknäuel, das mitten auf der Bahnhofzufahrt stand.
Ernst Dahlmann lag über dem Lenkrad und war besinnungslos. Aus seinem linken Mundwinkel, der abwärts hing, lief ein dünner Blutfaden über den weißen Kragen und das Hemd.
»Schädelbasisbruch«, sagte einer der herumstehenden Fußgänger sachkundig. »Sehn 'se das Blut aus'n Mund?!«
Zehn Minuten später lag Ernst Dahlmann auf dem Operationstisch im Unfallkrankenhaus. Er hatte das Bewußtsein noch nicht wiedererlangt. Eine Krankenschwester und ein Pfleger zogen ihm die Kleider aus. Im Sekretariat untersuchte ein Polizist vom Peterwagen die Papiere in der Brieftasche, die man Dahlmann abgenommen hatte.
»Wir fahren bei ihm vorbei …«, sagte der Polizist und steckte die Brieftasche ein. »Ich kenne die Mohren-Apotheke und Herrn Dahlmann. Hab' schon oft bei ihm 'n Rezept eingelöst. Seine Frau ist blind, wissen 'se … Und nun auch das noch!«
Im OP begann die Untersuchung des Verletzten.
*
Die Vorführung des Untersuchungsgefangenen Julius Salzer geschah unter Beisein seines Rechtsanwaltes Dr. Kutscher. Kommissar Faber hatte sich überzeugen lassen, daß eine Unterhaltung mit Salzer allein sinnlos sei, denn dieser hatte angekündigt, daß er kein Wort sagen und stumm wie ein Fisch bleiben würde.
»Es wird einem ja alles im Mund herumgedreht …«, sagte er. »Auf einmal ist man ein Mörder mit Geständnis und weiß nicht, wie.«
Der dicke Faber war solche Redensarten gewöhnt. »Rufen wir also den Kutscher«, sagte er leutselig. »Klar ist die Polizei immer schuld, wenn jemand im Loch sitzt. Die bösen Bullen! Warum auch haben die einen Verdacht, wenn ein Mädchen verschwindet, das von einem Geliebten zum anderen pendelt. Diese bösen, bösen Polizisten. Warten wir also.«
Dr. Kutscher kam sofort, als man ihn anrief. Seine wartenden Klienten überließ er seinem Anwaltsassessor. Kommissar Faber begrüßte ihn mit großer Geste und lauter, fettiger Stimme.
»Ah! Die Gerechtigkeit in Person! Willkommen, Nachfolger Ciceros! Wie geht's den Kanarienvögeln? Ich habe gehört,
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