Eine Sünde zuviel
Schreibtisch und spielte mit der Löschblattunterlage. Nach einer Zeit läutete er seine Sekretärin ins Zimmer.
»Mädchen«, sagte er sehr ernst, »was würden Sie denken, wenn ich jetzt hier säße, mit dem Kopf wackelte und immer nur ›da-da-da-da‹ sagte?«
»Ich würde denken: Mein Gott, der Chef ist übergeschnappt.«
»Und das würden alle denken?«
»Ja.«
»Danke.«
Verwundert verließ die Sekretärin das Zimmer. Dr. Kutscher trat ans Fenster und sah auf die belebte Straße.
Wie einfach ist es, als Verrückter zu gelten, dachte er. Und wie schnell finden sich die Menschen damit ab.
Er ahnte, daß der Fall Luise Dahlmann noch äußerst kompliziert werden konnte.
*
Die ganze Nacht über saß Ernst Dahlmann wach, lief wie ein gefangenes Raubtier hin und her, trank Kognak und Whisky, rief in Abständen von einer Stunde die Polizei und alle Krankenhäuser von Hannover an und erhielt immer die gleiche Nachricht: »Nein, Ihre Frau ist nicht eingeliefert worden.«
Gegen Morgen war es schon so, daß der wachhabende Polizist auf dem Präsidium und die Pfortenschwestern in den Kliniken beim Nennen des Namens Dahlmann schon dazwischenriefen:
»Nichts!«
Und auflegten.
Um sieben Uhr schreckte Dahlmann hoch. Erschöpft war er auf dem Sessel eingeschlafen. Er stürzte zum Telefon, Dr. Kutscher rief an.
»Etwas Neues?«
»Nein, Doktor. Es ist zum Verzweifeln. Ich bin völlig fertig.«
»Kann ich verstehen.« Dr. Kutschers Sarkasmus kannte keine Grenzen. »Statt Geld zu machen, werden Sie welches 'rausrücken müssen! Über so etwas hätten die alten Griechen eine antike Tragödie geschrieben –«
Dahlmann warf den Hörer hin. Er hätte Dr. Kutscher erwürgen können.
Auf dem Präsidium lief die Fahndung an. Das heißt, man war vorsichtig. Der Name Luise Dahlmann wurde zunächst nur in das Fahndungsbuch aufgenommen, das zum internen Gebrauch innerhalb der Polizei vorhanden war. An die Öffentlichkeit trat man erst, wenn der Fall völlig klar lag. Was wäre das auch für eine Polizei, die ständig um Hilfe bittet?! Man hatte seine Spezialisten, eine besondere Abteilung sogar. Um acht Uhr kam der Kriminalrat; den wollte man erst einmal um Rat fragen.
Dahlmann wußte nicht, was er tun sollte. Den Rat Dr. Kutschers, am Telefon zu bleiben und die Entführer zu erwarten, befolgte er schon von sich aus. Außerdem machte er sich darüber Gedanken, wie hoch die Auslösungssumme sein konnte. Hunderttausend Mark? Oder zweihunderttausend Mark? Oder nur fünfzigtausend Mark? Wie hoch sie auch sein mochte … er konnte sie niemals bezahlen. Er hatte keine Kontengewalt, das war bekannt und würde ihn gegenüber dem Staatsanwalt schützen, in den Verdacht des Vorschubs zu geraten.
Die andere Seite, die man genau überdenken mußte, war die Möglichkeit, daß man Luise tötete. Dann fiel der gesamte Besitz der Familie Horten automatisch an den letzten vorhandenen Erben. An Monika.
Monika, die jetzt in einer einsamen Waldhütte auf einer Bank lag und schlief. Eine Erbin, von der er nicht einen Pfennig bekommen würde. Eine Erbin, die aber auch allen Gemeinheiten und Möglichkeiten, an ihr Geld zu kommen, fernstand.
Ernst Dahlmann scheute sich einzugestehen, daß er mit dem Tode Luises in dieser Form völlig am Ende war. Und doch war es so. Und dieser Gedanke lähmte ihn fast, weil es kein Mittel gab, diese Katastrophe abzuwenden.
Um neun Uhr erhielt er Besuch. Jemand, an den er nicht mehr gedacht hatte, den er jetzt am allerwenigsten gebrauchen konnte und den er hätte erwarten müssen.
Bar aller Höflichkeit rannte Julius Salzer in die Wohnung. Er hatte geschellt, Dahlmann zur Seite gedrückt und war ins Wohnzimmer gestürmt. Erst dort, nach einem Rundblick, redete er Dahlmann an.
»Wo ist Monika?« rief er.
»Wie soll ich das wissen, Dichterfürst?« Dahlmann versuchte es mit Spott. Julius, durchfuhr es ihn. Der ist ja auch noch da!
Salzer ballte die Fäuste.
»Soll ich Sie an die Wand werfen?« keuchte er.
»Davon weiß ich noch immer nicht, wo Ihre Monika ist. Und außerdem wäre das kein schönes Gedicht –«
»Sie war hier.«
»Natürlich. Sie hat ja ihre Möbel abgeholt. Und sie hat mit ihrer Schwester, meiner Frau, gesprochen.«
»Ich bin nicht blöde –«
»Aber mir scheint, man muß Ihnen die einfachsten Dinge demonstrativ erklären, wie einem Kind: Das ist ein Räppelchen, und es macht knurr-knurr …«
»Wohin ist Monika?!« schrie Julius Salzer. Er war bleich vor Erregung. Dahlmann hob die
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