Eine Sündige Nacht
Lachen war in seiner Einzigartigkeit wie ein greifbares Etwas, das die Hand nach ihm ausgestreckt und ihn gestreichelt hatte. Ihn dort gestreichelt hatte, wo es sich verdammt gut anfühlte und wo es höllisch schmerzte. Oh ja, ihm war sehr heiß. So heiß, dass er beinahe in Flammen aufging. »Wann hast du Schluss?« Die Frage überraschte ihn genauso sehr wie sie.
»Um neun.« Behutsam entfernte sie sich.
»Nach Einbruch der Dunkelheit? Du gehst allein im Dunkeln nach Hause?«
»Ja, aber dann nehme ich nicht den Weg durch den Wald. Das mach ich nur am Tag.«
Er dachte darüber nach. Dieses Mädchen war anders als alle anderen, die er jemals getroffen hatte, hier in Winston oder in Mississippi.
»Ich werd noch zu spät kommen«, wiederholte sie und ging weiter von ihm weg, obwohl er spürte, dass sie ihn nur widerwillig allein lassen wollte.
»Ja, natürlich. Das wäre nicht gut. Wir sehen uns, Caroline.«
»Tschüs, Rink.«
Zwar hatten sie nur wenige Worte miteinander gewechselt, dennoch hatte die zufällige Begegnung für beide eine tiefere Bedeutung. Er rechnete fest damit, sie wiederzusehen. Sie dachte nicht, dass das jemals geschehen würde.
Er war zu seinem Cabrio zurückgegangen und schwang sich hinters Steuer, ohne sich die Mühe zu machen, die Tür zu öffnen. Er fuhr in Rekordzeit nach Hause, rannte die Treppe hinaus, wobei er immer zwei Stufen auf einmal nahm, und ging ohne Umwege direkt in sein Zimmer, wo er…
Jetzt, genau wie damals, ließ der Gedanke an Caroline ihn nicht mehr los. Er konnte sich selbst sehen, wie er vor zwölf Jahren in eben dieses Zimmer gegangen war. Er hatte seine überflüssige Kleidung auf den Boden geworfen und sich in diesen Sessel fallen lassen. Damals hatte er in derselben zusammengesackten Haltung hier gesessen und pausenlos an dieselbe Frau gedacht. Noch immer war sie für ihn ein Geheimnis, das schwer fassbar war und ihn quälte, seine Obsession.
Und jetzt, so wie damals, wusste er, dass es ohne Belang wäre, was immer er auch versuchte; es gab wenig Hoffnung, diese schmerzende, pochende Sehnsucht loszuwerden.
3
S ie erwachte früh am Morgen, sosehr sie auch gehofft hatte, länger schlafen zu können und das Aufwachen hinauszögern zu können, damit sie sich nicht mit Roscoes Krankheit und Rinks Heimkehr nach Winstonville beschäftigen musste.
Sie hörte, wie unten die Eingangstür leise geöffnet und wieder geschlossen wurde. Caroline warf die Decken von sich und ging über den Flur auf den Balkon im oberen Stockwerk. Die Sonne hatte es noch nicht bis über die Baumwipfel geschafft, obwohl der Himmel im Osten bereits pfirsichfarben gefärbt war. Ein einziger Stern und der Halbmond schienen immer noch leuchtend hell von einem zinnoberroten Himmel. Nebel stieg in Schwaden vom taugetränkten Gras auf. Ein weiterer feuchter Tag stand ihnen bevor.
Unter ihr lief Rink gerade die Verandatreppe hinunter. Er blieb auf der untersten Stufe stehen und sah sich die Landschaft an, von der Caroline wusste, dass er sie liebte. Sie war für ihn so lebensnotwendig wie die Luft zum Atmen. Sie bemitleidete ihn wegen all der Jahre, die er sich selbst von dem Zuhause, das er so liebte, verbannt hatte.
Langsam ging er zu dem Auto, das vor dem Haus geparkt war. Er trug Jeans und ein Sportsakko, was eine protzige Aufmachung für einen Westentaschen-Cowboy gewesen
wäre, für ihn aber genau richtig. Die Jeans waren der Mode gemäß ausgeblichen, aber sie waren gestärkt und so kunstvoll gebügelt, dass messerscharfe Bügelfalten über seine Oberschenkel verliefen. Caroline sah ihm zu, wie er in seiner Brusttasche nach dem Autoschlüssel wühlte.
Er schwang die Autotür auf. In diesem Moment sah er sie zufällig dort oben auf dem Balkon stehen, wie sie ihn beobachtete. Er stützte einen Arm auf dem Autodach auf und starrte sie ebenfalls an.
Sie stand absolut still, ohne zu sprechen, ohne ihn zu grüßen. Nur ihre Augen … Sie fanden seine und hielten den Blick. Und hielten. Eine sehr lange Zeit standen sie dort im rosigen Gold der Dämmerung und sahen einander an. Das dunstige Morgenlicht, das um sie herum züngelte, schien unwirklich, jenseits der Zeitrechnung zu entstehen. Während dieses stummen Moments der Intimität konnten sie all ihre Abwehr ruhen lassen. Sie konnten sich selbst nachgeben. Nichts existierte in der Welt außer ihnen.
Dann endlich, ohne ein Wort gesprochen zu haben, setzte er sich in ihren Lincoln und fuhr davon. Niedergeschlagen kehrte Caroline zu
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