Eine Tiefe Am Himmel
außer dem langsamen Treiben seiner Hängematte im Luftzug des Ventilators. Das blaue Licht war woanders hergekommen. Aus dem Innern seines Sehnervs. Pham schloss die Augen, wiederholte die Atemübung. Das blaue, blinkende Licht erschien abermals. Es war die Wirkung eines von einem Orterfeld gemeinsam erzeugten Strahls, abgestrahlt von den beiden, die er an seiner Schläfe und in seinem Ohr untergebracht hatte. Für eine Kommunikation war das sehr grobschlächtig, nicht beeindruckender als die zufälligen Lichtfünkchen, die die meisten Leute ständig ignorieren. Das System war darauf programmiert, äußerst vorsichtig zu sein, wenn es sich offenbarte. Diesmal hielt er die Augen geschlossen und änderte weder seine Atmung noch den ruhigen Puls. Er krümmte zwei Finger zur Handfläche hin. Eine Sekunde verstrich. Das Licht antwortete mit einem erneuten Blinken. Pham räusperte sich, wartete, bewegte den rechten Arm auf ganz bestimmte Weise. Das blaue Licht blinkte: eins, zwei, drei… Es war eine Impulsfolge, die für ihn binär zählte. Er gab sie zurück und benutzte dabei die Codes, die vor langer Zeit festgelegt worden waren.
Er war am Ruf-Antwort-Modul vorbei. Er war drin! Die Lichter, die hinter seinen Augen flackerten, waren fast zufällige Stimuli. Es würde Kilosekunden dauern, bis er dem Orternetz die Präzision antrainiert hatte, die diese Art Darstellung haben konnte. Der Sehnerv war einfach zu groß, zu komplex, um sofort klare Bilder einzugeben. Egal. Das Netz redete jetzt verlässlich mit ihm. Die alten Anpassungen kamen aus dem Versteck. Die Orter hatten seine physischen Parameter festgestellt; von nun an konnte er mit ihnen auf alle möglichen Arten reden. Ihm blieben von seiner gegenwärtigen Wache noch fast drei Megasekunden. Das sollte genügen, um das absolut Notwendige zu tun, ins Flottennetz einzudringen und eine neue Tarngeschichte anzulegen. Was sollte es sein? Etwas Peinliches, ja. Ein peinlicher Grund, warum ›Pham Trinli‹ all die Jahre den Clown gespielt hatte. Eine Geschichte, mit der Nau und Brughel etwas anfangen konnten und von der sie glauben würden, sie könnten sie als Druckmittel gegen ihn verwenden. Was?
Pham fühlte, wie sich ein Lächeln auf sein Gesicht stahl. Zamle Eng, möge deine Sklavenhändler-Seele in der Hölle verfaulen. Du hast mir so viel Kummer bereitet. Vielleicht kannst du mir postum einen Dienst erweisen.
DREIUNDZWANZIG
›Die Kinderstunde der Wissenschaft.‹ Was für ein unschuldiger Name. Ezr kehrte von seiner langen Freiwache zurück und stellte fest, dass sie sein persönlicher Albtraum geworden war. Qiwi hat es mir versprochen; wie konnte sie das zulassen! Aber jede Live-Vorstellung war ein größerer Zirkus als die zuvor.
Und heute konnte es die bisher schlimmste werden. Mit etwas Glück auch die letzte.
Ezr schwebte etwa tausend Sekunden vor Beginn der Vorstellung bei Benny ein. Bis zum letzten Augenblick hatte er vorgehabt, es sich von seinem Zimmer aus anzusehen, aber der Masochismus hatte wieder eine Runde gewonnen. Er setzte sich unter die Menge und hörte schweigend dem Geplauder zu.
Bennys Biersalon war die zentrale Institution ihrer Existenz bei L1 geworden. Der Salon war jetzt sechzehn Jahre alt. Benny selbst war in einem Fünfundzwanzig-Prozent-Dienstzyklus; er und sein Vater teilten sich in den Betrieb mit Gonle Fong und anderen. Die alte Bildtapete hatte stellenweise Blasen bekommen, an manchen Stellen funktionierte die Illusion einer dreidimensionalen Ansicht nicht mehr. Alles hier war inoffiziell, entweder von anderen Stellen der L1-Wolke angeeignet oder aus Diamanten und Eis und Luftschnee hergestellt. Ali Lin hatte sogar eine Pilzmatrix hervorgebracht, die die Züchtung unglaublichen Holzes mitsamt Maserung und einer Art Jahresringen erlaubte. Irgendwann während Ezrs langer Abwesenheit waren die Bar und die Wände alle mit dunklem, poliertem Holz getäfelt worden. Es war nun ein gemütlicher Ort, fast etwas, das freie Menschen von der Dschöng Ho machen könnten…
In die Tische des Salons waren Namen von Leuten geritzt, die man vielleicht jahrelang nicht gesehen hatte, deren Wachen sich nicht mit der eigenen überschnitten. Das Bild über der Bar war eine ständig aktualisierte Kopie von Naus Wachplan. Wie bei den meisten Dingen benutzten die Aufsteiger die übliche Dschöng-Ho-Notation. Ein einziger Blick auf den Plan, und man sah, wie viele Megasekunden – objektive oder persönliche Zeit – es dauern würde, bis
Weitere Kostenlose Bücher