Eine Tiefe Am Himmel
Höhe. Tageslicht drang hindurch, wurde hier und da die Metallwände des Schachtes herabreflektiert. Hier am Grunde waren sie im Dämmerlicht, doch es war durchaus hell genug, um die Schlafmatten zu sehen, die chemische Toilette, den Metallfußboden. Ihr Gefängnis wurde im Laufe des Tages ständig wärmer. Gokna hatte Recht. Sie hatten daheim genug herumgestöbert, um zu wissen, wie richtige Versorgungsschächte aussahen. Doch was sonst konnte das sein? »Sieh dir all die Flicken an.« Sie deutete auf die Scheiben, die hier und da nachlässig an den Wänden befestigt waren. »Vielleicht ist dieser Ort verlassen worden – oder vielleicht ist er noch im Bau!«
»Na ja«, sagte Jirlib. »Das ist alles frische Arbeit. Sie haben einfach Deckel über den Zugangslöchern befestigt, es hat vielleicht eine Stunde gedauert.« Gokna nickte, sie versuchte nicht einmal, das letzte Wort zu haben. So viel hatte sich seit dem Morgen verändert. Jirlib war kein ferner, verärgerter Unparteiischer in ihren Streitgesprächen mehr. Er stand unter größerem Druck als je zuvor, und sie wusste, wie bitter schuldig er sich fühlen musste. Zusammen mit Brent war er der Älteste – und er hatte es geschehen lassen. Doch der Schmerz zeigte sich nicht direkt; Jirlib war geduldiger als je zuvor.
Und als er das Wort ergriff, hörten seine Schwestern zu. Selbst wenn man nicht berücksichtigte, dass er fast erwachsen war, war er bei weitem der klügste von ihnen allen.
»Eigentlich glaube ich, ich weiß genau, wo wir sind.« Er wurde von den Babies unterbrochen, die in ihren Sitzen auf seinem Rücken zappelten. Jirlibs Fell war einfach nicht tief genug, um bequem zu sein, und er begann schon zu stinken. Alequere und Birbop wechselten zwischen jaulenden Forderungen nach ihren Eltern und nervtötender Stille, wobei sie sich dicht an den Rücken des armen Jirlib pressten. Es sah so aus, als würde nun wieder eine Runde Geschrei folgen. Viki langte hin und nahm Alequere in die Arme.
»Und wo?«, fragte Gokna, aber ohne eine Spur von Streitlust in der Stimme.
»Seht ihr die Kankerweben?« Jirlib zeigte nach oben. Es waren frische winzige Fleckchen von Seide, die im Luftzug nahe am Gitter hin und her schwangen. »Jede Art hat ihr eigenes Muster. Die da oben gehören zum Gebiet von Weißenberg, aber sie nisten an den höchsten Orten. Die Spitze des Berghauses ist gerade noch hoch genug für sie. Also denke ich, wir sind noch in der Stadt und so hoch oben, dass wir meilenweit zu sehen sein müssen. Wir sind entweder im Bergbezirk oder in diesem neuen Wolkenkratzer bei Stadtmitte.«
Alequere begann wieder zu weinen. Viki wiegte sie sanft hin und her. Damit war Klein Hrunk immer in bessere Stimmung gekommen, aber… Ein Wunder! Alequeres Gewimmer hörte auf. Vielleicht war sie einfach so niedergeschlagen, dass sie keinen ordentlichen Lärm machen konnte. Aber nein, nach ein paar Sekunden winkte ihr das Baby ein schwaches Lächeln zu und drehte sich hin und her, um alles sehen zu können. Sie war ein gutes kleines Kuppli! Viki wiegte das Baby noch ein paar Sekunden, ehe sie sprach. »In Ordnung. Vielleicht sind sie nur im Kreis mit uns gefahren – aber Stadtmitte? Wir haben ein paar Flugzeuge gehört, aber wo ist der Straßenlärm?«
»Überall ringsum.« Es war fast das Erste, was Brent seit der Entführung sagte. Langsam und schwerfällig, das war Brent. Und er war der Einzige von ihnen allen, der erfasst hatte, was heute Morgen geschah. Er war es gewesen, der sich von den anderen absetzte und im Dunkeln lauerte. Brent hatte die Größe eines Erwachsenen – sich mit diesem Regal auf den Feind zu stürzen, hätte ihn zum Krüppel machen können. Als man sie durch den Liefereingang des Museums hinausgeschleppt hatte, war Brent lahm und still gewesen. Er hatte während der anschließenden Fahrt nichts gesagt, nur abgewinkt, als ihn Jirlib und Gokna fragten, ob mit ihm alles in Ordnung sei.
Es sah so aus, als habe er sich ein Vorderbein gebrochen und mindestens ein zweites verletzt, doch er wollte nicht, dass sie sich den Schaden ansahen. Viki verstand es. Brent schämte sich wohl ebenso wie Jirlib – und fühlte sich noch nutzloser. Er hatte sich missmutig hingesetzt und sich in sich zurückgezogen, und dann – nach der ersten Stunde in ihrem gegenwärtigen Gefängnis – hatte er begonnen, hin und her zu humpeln, auf dem Metall tappend und klickend. Immer wieder ließ er sich flach hinfallen, als ob er sich tot stelle – oder total
Weitere Kostenlose Bücher