Eine Tiefe Am Himmel
Gitter. »Wir müssen gegen Millionen Jahre Evolution ankämpfen; manchmal ist damit schwieriger umzugehen, als mit Kernphysik oder der Geehrten Pedure. Aber die Leute werden sich daran gewöhnen.«
Das war, was Scherkaner Unterberg gesagt hätte, lächelnd und ohne das Unbehagen ringsum wahrzunehmen. Aber Schmid klang mehr wie ein Soldat im Schützenloch, der die Beteuerungen des Oberkommandos über die Schwäche des Feindes wiederholt. Plötzlich fiel ihm ein, wie sorgfältig sie die Blenden vor jedem einzelnem Fenster geschlossen hatte. »Sie fühlen dabei dasselbe wie ich, nicht wahr?«
Einen Augenblick lang glaubte er, sie würde explodieren. Stattdessen saß sie da und schwieg unergründlich. Schließlich: »… Sie haben Recht, Feldwebel. Wie gesagt, es gibt eine Menge Instinkte, gegen die wir angehen.« Sie hob die Schultern. »Irgendwie kümmert das Scherkaner überhaupt nicht. Oder besser, er kennt die Furcht, und sie fasziniert ihn, einfach noch ein wunderbares Rätsel. Jeden Tag geht er zum Kratergrund hinab und beobachtet. Er mischt sich sogar unter sie, mitsamt Leibwächtern und Geleitkäfer und allem – man muss es sehen, um es zu glauben. Er wäre heute den ganzen Tag dort unten gewesen, wenn Sie nicht mit Ihrem faszinierenden Rätsel aufgetaucht wären.«
Unnerbei lächelte. »So ist er, unser Scherk.« Vielleicht war das ein sicheres Thema. »Haben Sie gesehen, wie er auflebte, als wir über meinen ›magischen Gesteinsstaub‹ sprachen? Ich kann es nicht erwarten zu sehen, was er damit macht. Was passiert, wenn man einem Wundertäter ein Wunder gibt?«
Schmid schien nach Worten zu suchen. »Das mit dem Gesteinsstaub finden wir heraus, so viel ist gewiss. Aber… verdammt, Hrunkner, Sie haben ein Recht, es zu wissen. Sie sind so lange mit Scherkaner zusammen wie ich. Haben Sie bemerkt, wie sein Zittern schlimmer wird? Die Wahrheit ist, er altert nicht so gut wie die meisten aus unserer Generation.«
»Ich habe bemerkt, dass er gebrechlich ist, aber schauen Sie doch nur, was an Ergebnissen dieser Tage aus Weißenberg kommt. Er tut mehr als je zuvor.«
»Ja. Indirekt. Im Laufe der Zeit hat er einen immer größeren Kreis genialer Schüler um sich geschart. Es sind jetzt Hunderte, übers ganze Computernetz verstreut.«
»… Aber all diese Arbeiten von ›Tom Lauerviel‹? Ich dachte, dahinter verbergen sich Scherk und seine Schüler.«
»Das? Nein. Das… das sind nur seine Schüler, die sich dahinter verbergen. Sie spielen anonyme Spiele im Netz; sie machen aus der Urheberschaft ein Ratespiel. Es ist einfach nur… Alberei.«
Albern oder nicht, es kam erstaunlich viel dabei heraus. Im Laufe der letzten paar Jahre hatte ›Tom Lauerviel‹ bahnbrechende Erkenntnisse über alles von Kerntechnik über Datenverarbeitung bis zu Industriestandards geliefert. »Es ist schwer zu glauben. Jetzt eben schien er ganz der Alte zu sein – geistig, meine ich. Die Ideen schienen so rasch wie immer zu kommen.« Ein Dutzend sonderbare Ideen pro Minute, wenn er in Fahrt ist. Unnerbei lächelte bei der Erinnerung. Flatterhaftigkeit, dein Name ist Unterberg.
Die Generalin seufzte, und ihre Stimme klang leise und fern. Es war, als spräche sie über erfundene literarische Gestalten, nicht ihre eigene persönliche Tragödie. »Scherk hatte Tausende von verrückten Ideen, und Hunderte davon ergaben schöne Resultate. Aber das… ist jetzt anders. Mein lieber Scherkaner ist seit drei Jahren auf nichts Neues gekommen. Er befasst sich jetzt mit Videomantie, wussten Sie das? Er ist so extravagant wie eh und je, aber…« Schmids Stimme erstarb.
Seit fast vierzig Jahren waren Viktoria Schmid und Scherkaner Unterberg ein Team, wo Unterberg eine endlose Lawine von Ideen hervorbrachte und Schmid die besten auswählte, um sie wieder bei ihm einzuspeisen. Scherk pflegte den Vorgang farbiger zu schildern, seinerzeit, als er glaubte, künstliche Intelligenz sei die große Sache der Zukunft: »Ich bin die Ideen erzeugende Komponente, und Viktoria ist der Quatsch-Detektor; wir sind als Intelligenz größer als alles auf zehn Beinen.« Die beiden hatten die Welt umgeformt.
Doch jetzt… Was, wenn die Hälfte des Teams das Genie eingebüßt hatte? Scherkaners brillante Grillen hatten die Generalin ebenso in Gang gehalten, wie umgekehrt. Ohne Scherk blieben Viktoria Schmid nur ihre eigenen Fähigkeiten: Mut, Kraft, Zähigkeit. Genügte das?
Viktoria sagte eine Zeit lang nichts mehr. Und Hrunkner wünschte, er könnte hingehen
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