Eine tödliche Erinnerung (German Edition)
Leben ..., wen interessiert das schon?" Sie schaute wie abwesend vor sich hin.
"Mich interessiert es, sehr sogar. Ich werde mir Zeit für Sie nehmen und Ihnen aufmerksam zuhören." Diese Frau war ein harter Brocken, doch ich gab nicht auf. Nach meinen letzten Worten sah sie sich mich so verwundert an als wären mir plötzlich zwei Hörner gewachsen. Dann begann sie zu reden. Sie redete als würde sie nie wieder damit aufhören wollen, hastig und ohne Pausen. Normalerweise hätte ich sie irgendwann unterbrochen und auf die kommende Stunde verwiesen, doch ich spürte, dass ich sie dann endgültig verloren hätte. So ließ ich sie einfach weiter sprechen.
Sie redete über ihre freudlose Kindheit, über den cholerischen und gewalttätigen Vater. Er wollte nicht einsehen, wie unrentabel sein kleiner Bauernhof war und hielt starrsinnig daran fest. Für die ganze Familie bedeutete das ein ständiges Zuviel an Arbeit und einen chronischen Mangel an Geld. Die Mutter fügte sich stumm in ihr Los und den beiden Töchtern blieb ebenfalls nichts anderes übrig. Doch sie litten darunter, immer alte Sachen tragen zu müssen und weder Zeit noch Geld für Unternehmungen mit Gleichaltrigen zu haben.
"Ich hatte nie Freundinnen", sagte Frau Niemand, "die anderen Mädchen wollten nichts mit mir zu tun haben. Aber es war auch ganz gut so, denn ich hätte sie ja niemals zu uns nach Hause einladen können."
Ihr Leben änderte sich, als sie ihren späteren Mann kennenlernte. Da war sie gerade mal 13. Seine Eltern waren wohlhabend, doch ein glückliches Kind war er deshalb auch nicht. "Seine Eltern haben kaum miteinander geredet. Geheiratet haben sie damals nur, weil er unterwegs war. Ich hatte den Eindruck, seine Mutter verübelte ihm das regelrecht und hat ihn dafür büßen lassen. Sie bekam dann später noch einen zweiten Sohn und es wurde gemunkelt, der wäre gar nicht von ihrem Mann, sondern von einem Liebhaber. Jedenfalls behandelte sie den völlig anders. Er war ihr absoluter Liebling. Mit ihm verreiste sie sogar oft allein. Mein Mann dagegen war meist mit seinem Vater zusammen und hat ihm bei der Arbeit geholfen. Sie hatten ja einen kleinen Familienbetrieb. Die Frau hat sich überhaupt nicht dafür interessiert, sondern spielte die große Dame und die beiden Männer waren für sie nur eine Art Knechte. Für den jüngeren Bruder später auch, kein Wunder bei der Erziehung. Die haben nie danach gefragt, woher das Geld kommt, das sie ausgeben."
Ihr Mann sei genau so schüchtern und unsicher gewesen wie sie selbst, berichtete Frau Niemand weiter. Sie seien erst gute Freunde und bald darauf ein Paar geworden. Mit 16 war sie dann zum ersten Mal schwanger.
"Das war kein Unfall, wie alle glaubten. Ich wollte unbedingt von zu Hause weg, weil ich es da einfach nicht mehr aushielt. Mit dem Kind, so dachte ich, dürfte ich zu meinem Freund ziehen und wir würden eine eigene Familie gründen. Aber ich hatte die Rechnung ohne seine Mutter gemacht. Obwohl sie sonst nie ein Interesse an diesem Sohn zeigte, wollte sie doch bestimmen, mit wem er zusammenlebte. Ich kam da überhaupt nicht in Frage, sie verlangte, dass ich das Kind abtreibe, und das tat ich schließlich auch."
Frau Niemand starrte einen Moment nachdenklich vor sich hin.
"Aber zwei Jahre später", fuhr sie fort, "durften wir dann doch heiraten. Ich war wieder schwanger und diesmal waren es Zwillinge, zwei Mädchen. Für die Kinder hatte ich wenig Zeit, ich wurde gleich voll in die Arbeit für den Betrieb eingespannt. Das machte mir im Grunde wenig aus, harte Arbeit war ich ja von zu Hause her gewöhnt."
Sie vermied es, näher zu erläutern, um was für eine Art von Familienbetrieb es sich handelte. Offenbar war das Teil ihrer Geheimhaltungsstrategie und natürlich fragte ich nicht nach.
"Mein Schwiegervater erkannte meine Arbeit zumindest an, aber meine Schwiegermutter verachtete mich nur. Richtig schlimm wurde es, als dann ein paar Jahre später auch ihr Lieblingssohn heiratete. Mit dessen Frau verstand sie sich sofort hervorragend. Die war genau so eine nichtsnutzige Spinnerin wie ihr Mann. Von da an sind sie zu dritt in der Weltgeschichte umher gereist, während wir den Betrieb in Schwung hielten. Wenn sie zu Hause waren, musste ich sie auch noch bedienen."
"Zumindest", fuhr Frau Niemand fort und jetzt schwang Genugtuung in ihrer Stimme mit, "konnten mein Mann und ich den Betrieb nach dem Tod des Schwiegervaters allein übernehmen. Alles andere wäre ja auch ungerecht
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