Eine tödliche Erinnerung (German Edition)
mit mir allein reden möchte, dann können Sie das ja nicht verbieten", meinte sie trotzig.
"Ich gehe nicht davon aus, dass Herr Gerlach das möchte. Sonst hätte er wohl nicht ausdrücklich um ein gemeinsames Gespräch mit mir gebeten."
"Wir können ihn ja fragen", beharrte sie eigensinnig auf ihrem Willen.
Ich glaubte kein Risiko einzugehen, als ich dem zustimmte. Wenigstens konnte ich so die fruchtlose Diskussion beenden und endlich bei Herrn Gerlach klingeln. So schnell wie er öffnete, musste er schon hinter der Tür auf uns gewartet haben. Im Flur roch es nach frischer Farbe und alles wirkte noch ein wenig unfertig. Doch das Wohnzimmer, in das er uns führte, war komplett eingerichtet und recht gemütlich. Wolfgang Gerlach und ich ließen uns in den Sesseln nieder, während Frau Stammer sogleich auf dem Sofa Platz nahm.
Zunächst sagte ich ein paar einleitende Worte, dankte Wolfgang Gerlach für seine Bereitschaft zu diesem Gespräch und die Einladung in seine Wohnung. Weiter kam ich nicht, weil Frau Stammer mich ungeduldig unterbrach.
"Wolfgang", sagte sie und sah ihn dabei strahlend an, "möchtest du nicht auch lieber mit mir allein reden? "
Völlig verdutzt über die Anrede starrte ich sie an. Wieso duzte sie ihn? War das ein Ausdruck ihrer wahnhaften Wahrnehmung, die ihr eine besondere Beziehung zu Wolfgang Gerlach vorgaukelte? Auch er schien völlig überrumpelt und blickte angestrengt auf den Teppich als gäbe es da etwas Interessantes zu sehen. Gerade wollte ich ihn mit ein paar vermittelnden Worten aus dieser Peinlichkeit erlösen, als er den Kopf hob und Frau Stammer ansah. "Ich möchte auch mit dir allein reden", sagte er leise, doch gut verständlich. Mich sah er überhaupt nicht an. Dafür tat das Frau Stammer umso ausgiebiger, und aus ihrem Blick sprach der unverhohlene Triumph. "Lassen Sie uns dann bitte allein", sagte sie und begleitete ihren Ausspruch mit einer unmissverständlichen Geste zur Tür hin. Über so viel Unverschämtheit blieb mir glatt die Spucke weg.
Doch im nächsten Moment hatte ich mich wieder gefangen. "Frau Stammer, so einfach geht das nicht", sagte ich ganz ruhig. "Das hier ist keine private Kaffeerunde, sondern ein fest vereinbartes therapeutisches Gespräch. Wenn Sie das jetzt unmittelbar vor Beginn absagen wollen, ist das ihre Sache. Aber dann wird das Ausfallhonorar sofort fällig.“
Sie ließ sich dadurch nicht im Geringsten beeindrucken. Eilig drückte sie mir eilig zwei Scheine in die Hand, um es rasch hinter sich zu bringen und mich so schnell wie möglich loszuwerden. Ich kam mir wie eine bezahlte Nutte vor. Frau Stammer hätte mir die Scheine in den Ausschnitt stopfen sollen, das hätte noch besser ins Bild gepasst.
Als ich mir eine halbe Stunde später in der Praxis einen Kaffee machte, steckte Ruth den Kopf zur Tür herein. "Schon zurück?", fragte sie erstaunt. "Wie ist es denn so gelaufen?"
"Es ist völlig aus dem Ruder gelaufen", antwortete ich resigniert.
Ruth nahm mir gegenüber am Küchentisch Platz. "Na dann erzähle mal", ermunterte sie mich, woraufhin ich ihr das Desaster in allen Einzelheiten schilderte. "Vielleicht sollte ich meinen Job aufgeben und lieber eine Partnervermittlung eröffnen", sagte ich. "Offenbar habe ich dafür mehr Talent."
Ruth schaute mich mitleidig an. "Jetzt nimm dir das bloß nicht so zu Herzen, du hast keinen Fehler gemacht, das wäre jedem anderen auch passiert. Die erfahrensten Kollegen sind schon von Stalkern ausgetrickst worden und viele nehmen diese Fälle deshalb gar nicht erst an. Allerdings", fuhr sie nachdenklich fort, "ist hier etwas seltsam. Dass die Frau Stammer die ganze Zeit bemüht war, ihr eigenes Süppchen zu kochen, liegt ja in der Natur ihrer Störung. Aber was ist mit ihm? Wieso hat er ihr Spiel mitgespielt? War da doch mehr zwischen den Beiden als er dir gegenüber zugegeben hat?"
"Das muss wohl so sein. Aber das macht sein Verhalten nicht logischer. Er hätte sich doch erst gar nicht auf den Termin einlassen müssen oder hätte ihn zumindest noch rechtzeitig absagen können. Ich habe nachgedacht und vermute, dass es anders zusammenhängt. Als ich an dem Haus ankam, war Frau Stammer noch nicht da, aber dann stand sie ganz unvermittelt auf einmal hinter mir. Sie kann nur aus dem Haus gekommen sein und muss daher schon direkt vor dem vereinbarten Termin mit ihm gesprochen haben. Durch dieses Gespräch hat sie ihn vermutlich dazu gebracht, sich ihrem Wunsch zu fügen. Deshalb war sie sich auch so
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