Eine tolle Zeit
jetzt‹ ging im schneller werdenden Wortschwall des Neuen unter. »Ich werde nicht viel Zeit an die Nebenerscheinungen unserer großen Katastrophe verschwenden – das Streichen des Urlaubs, die schärferen Rationierungen, der Verlust des Express-Raums, die Verwendung der Erholungsstationen für Einsätze und all das andere verzweifelte Flickwerk – beim vorletzten Unternehmen hing man uns drei Soldaten von außerhalb der Galaxis an, die uns kein bißchen nützten – was nicht ihr Fehler war. Solche Kleinigkeiten können in schlimmen Momenten jedes Krieges vorkommen und sind vielleicht nur örtlich bedingt. Aber wir haben auch etwas Großes.«
Wieder hielt er inne, wohl um unsere Neugier zu steigern. Maud mußte sich in meine Nähe geschlichen haben, denn ich spürte ihre trockene kleine Hand auf meinem Arm, und sie flüsterte aus dem Mundwinkel: »Was machen wir jetzt?«
»Wir hören zu«, gab ich auf gleichem Wege zurück. Ihr Bedürfnis, etwas tun zu müssen, machte mich ungeduldig.
Sie hob eine goldbestäubte Augenbraue in meine Richtung und murmelte: »Du auch?«
Ich kam nicht dazu, sie zu fragen, was ich denn auch sei. In Bruce verliebt? Verrückt? – weil in diesem Augenblick Bruce wieder aus der Ferne herüberklang.
»Habt ihr euch je gefragt, wie viele Einsätze das Gefüge der Geschichte noch aushalten kann, bis alles in Fetzen hängt, ob zuviel Veränderung eines Tages nicht die Vergangenheit überlastet? Und auch die Gegenwart und die Zukunft, die ganze verdammte Sache. Ist das Gesetz der Bewahrung der Realität mehr als nur eine magere Hoffnung mit langem Namen, ein Gebet von Theoretikern? Der Veränderungstod ist so real wie der Hitzetod und weitaus schneller. Nach jedem Einsatz ist die Wirklichkeit ein wenig körniger, ein wenig häßlicher, ein wenig mehr improvisiert, und gehörig ärmer an jenen Details und Gefühlen, die unser Erbe sind, wie eine grobe Bleistiftskizze auf der Leinwand, wenn man die Farbe abgekratzt hat.
Wenn alles soweit geht, wird der Kosmos da nicht zu einem Schatten seiner selbst und schließlich ins Nichts zusammensinken? Wieviel Auszehrung kann die Wirklichkeit vertragen, wo immer mehr Doppelgänger aus ihr herausgetrennt werden? Und da ist noch eine Nebenwirkung der Einsätze – jede Mission weckt die Zombies ein wenig mehr auf, und wenn ihre Veränderungswinde ersterben, lassen sie sie ein wenig verstörter und alptraumbelasteter und zermürbter zurück. Jene von euch, die in sehr beharkten Zeitgegenden im Einsatz gewesen sind, wissen bestimmt, was ich meine – dieser Blick, den sie uns aus den Augenwinkeln zuwerfen, als wollten sie sagen: ›Ihr schon wieder? Um Himmels willen, verschwindet. Wir sind die Toten. Wir sind diejenigen, die nicht wieder aufwachen wol len, die keine Dämonen sein wollen und schon gar keine Geister. Quält uns nicht länger.«
Ich drehte mich um und blickte zu den Geistermädchen hinüber; ich konnte nicht anders. Sie hatten irgendwie auf dem Kontrolldiwan zueinander gefunden, sahen uns an, mit dem Rücken zu den Versorgungsgeräten. Die Gräfin hatte die Weinflasche mitgenommen, die Erich ihr vorhin besorgt hatte, und sie reichten sie hin und her. Die Gräfin hatte einen gro ßen rosa Fleck auf den gekräuselten weißen Spitzen ihrer Bluse.
Bruce sagte: »Es kommt der Tag, das alle Zombies und alle Ungeborenen erwachen und gemeinsam durchdrehen und – übertragen gesprochen – in endlo ser Horde auf uns zumarschieren und sagen: ›Wir haben jetzt genug!‹«
Aber ich wandte mich nicht sofort wieder Bruce zu. Phrynes Chiton war von einer Schulter geglitten, und sie und die Gräfin saßen vornübergebeugt da, die Ellenbogen auf die Knie gestützt, die Beine gespreizt – jedenfalls soweit der enge Rock der Gräfin das zuließ – und schwankten ein wenig zueinander. Sie waren noch überraschend fest, obwohl sich seit einer halben Stunde niemand direkt mehr um sie gekümmert hatte, und sie blickten mit halbgeschlossenen Augen über meinen Kopf in die Höhe und schienen tatsächlich Bruces Worten zu lauschen und vielleicht auch einiges zu verstehen.
»Wir ziehen eine scharfe Trennungslinie zwischen Zombies und Ungeborenen, zwischen Wesen, die durch unsere Einsätze aufgestört wurden und deren Lebenslinien in der Vergangenheit oder in der Zukunft liegen. Aber gibt es da noch einen Unterschied? Können wir wirklich den Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft festlegen? Können wir noch das Jetzt, das wirkliche Jetzt des Kosmos
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