Eine tollkuehne Lady
unsicher zu, während Bel und Hawk in dem Salon gegenüber verschwanden. Hinter ihnen schloss sich die Tür.
Als er sich dem Musikzimmer näherte, hörte er eine leise Stimme, und als er an die offene Tür trat, blieb er stehen, denn er sah seinen kleinen Sohn im Halbschlaf auf Georgianas Schoß.
Der zukünftige Marquess nuckelte an seinem Daumen, eine Angewohnheit aus der Babyzeit, und mit der anderen Hand umklammerte er die Rüsche an ihrem Ärmel, als würde er sie damit für sich beanspruchen wollen. Georgiana las ihm leise aus einem Buch mit Kinderversen vor.
Ian, völlig überrascht, starrte sie nur an.
Ihr Anblick, wie sie seinen mutterlosen Sohn im Arm hielt, ein Musterbild fürsorglicher Liebe, erfüllte ihn mit einer intensiven Zärtlichkeit und zugleich mit einem bohrenden Schmerz, weil es ihm einmal mehr zeigte, was in seinem Leben fehlte. Aber jetzt, das begriff er, sah er vielleicht den Beginn einer richtigen Familie. Eines richtigen Zuhauses.
Sein Haus war nie wirklich ein Zuhause gewesen, weil ihm die Wärme fehlte, so wie seinem Sohn immer die Liebe einer Mutter gefehlt hatte.
Georgiana sah so weich und freundlich aus, so geschickt und so sanft, dass es Ian die Kehle zuschnürte. Er lehnte sich an die Tür, unfähig, den Blick von ihr zu wenden. Du musst mich heiraten, dachte er. Etwas anderes werde ich nicht zulassen.
Wieder dachte er an die Vergangenheit. Für seinen Sohn wünschte er sich etwas Besseres als die Kindheit, die er selbst durchlebt hatte, und es schmerzte ihn so sehr zu wissen, dass er es noch schlechter machte als seine Eltern.
Der adlige Haushalt, in dem er aufgewachsen war, war kalt und streng gewesen, Stellung, Stolz und Würde hatten die Liebe ersetzt. Obwohl wesentlich unordentlicher und unruhiger, war die Familie Knight, der er sich angeschlossen hatte, einander sehr viel mehr verbunden, durch das enge Band zwischen Hawk und all seinen Brüdern. Es hatte Ian gut getan, sich im Dunstkreis ihrer Familie zu bewegen, doch das war nicht dasselbe wie eine eigene zu haben. Vor allem jetzt nicht, da alle verheiratet waren und selbst Frauen und Kinder hatten. Wie viele Jahre waren vergangen?
Und er war immer noch allein.
Georgie war immer noch wütend auf ihn, weil er ihr nichts von Matthew gesagt hatte. Ihr nichts von früheren Geliebten zu erzählen, die jederzeit hereinschneien konnten, war eine Sache, doch ihr das Kind zu verheimlichen, stellte einen weitaus größeren Affront dar.
Aber dann spürte sie seine Gegenwart, hob den Kopf und sah ihn dort stehen, wie er sie beobachtete mit seinem Kind in der einschläfernden Stille des Nachmittags, und der Ausdruck seines Gesichts weckte ihre Aufmerksamkeit.
Seine graugrünen Augen wirkten dunkel und gequält, die scharfen Züge seines Gesichts noch angespannter als sonst. So stand er da, stumm, mit zusammengepressten Lippen, und strahlte eine unbeschreibliche Einsamkeit aus.
Schon bei ihrer ersten Begegnung in Kalkutta hatte Georgie den Schmerz hinter seiner beherrschten Fassade gespürt, und dann wieder in der Gebetshöhle, als sie ihn nach seiner ersten Frau gefragt hatte. Gewöhnlich verbarg er seine Verletzlichkeit gut, aber jetzt, da er sie mit seinem Sohn betrachtete, war dieses Gefühl zum ersten Mal an die Oberfläche getreten, zeigte sich auf seinem Gesicht, in seinen Augen.
Dieser Mann litt. Und ein langer, prüfender Blick in seine Augen genügte, um Georgies Zorn auf ihn in Mitleid zu verwandeln. Wie konnte sie böse sein, wenn er so verloren wirkte, so offensichtlich Zärtlichkeit brauchte?
Ihr dämmerte, dass es vielleicht noch einen anderen Grund hatte, warum sie nach London geschickt worden war. Ein Wink des Schicksals. Ian Prescott hatte ihr und ihren Brüdern das Leben gerettet. Vielleicht war es an der Zeit, dass Georgie ihn rettete.
Stumm erwiderte sie seinen Blick, vorsichtig darauf bedacht, das schläfrige Kind nicht zu stören. Dann stieß er sich von der Tür ab und kam zu ihr.
Matthew spürte die Gegenwart seines Vaters, obwohl er schon fast schlief, und begann sich unruhig in Georgies Armen zu regen. Mit einem Kuss auf seine warme Stirn brachte sie Matthew zur Ruhe.
„Papa.“ Matthew bewegte seine bestrumpften Füße, fühlte sich aber zu wohl, um von Georgies Schoß zu klettern.
Ian lächelte ihn mit einer Spur von Stolz an. „Matthew.“
Er bückte sich und umfasste einen der Füße des Kindes. Wie ich sehe, hast du einen Freund gefunden.“
Georgies Herz schlug schneller, als
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