Eine tollkuehne Lady
zumindest war damit dieses Rätsel gelöst.
Ian erwog, dem Agenten des Maharadschas zu folgen und ihn zur Rede zu stellen, doch der König konnte jeden Moment eintreffen, und am Ende spielte es nicht wirklich eine Rolle. Nun, da Ian ein Fundament an Verständnis und Respekt zwischen sich und dem König errichtet hatte, warum sollte er wegen eines kleinen Spions einen Missklang riskieren? In einer solchen Situation musste man mit derartigen Dingen rechnen.
In diesem Moment endete die Musik mit einem Akkord. Applaus brandete auf für die Hochländer, doch nur kurz, denn dann wurde allgemeines Gemurmel laut und die Männer wandten sich dem von Säulen umrahmten Eingang zu. Einzelne Ausrufe der Empörung waren zu hören.
Ian folgte mit den Augen der Blickrichtung der anderen und erstarrte, als er Georgiana Knight zwischen den Säulen stehen sah.
Ihr Anblick traf ihn wie ein Schlag.
Das warme Licht der Kronleuchter erhellte ihr frisches, makelloses Gesicht und zauberte Glanzlichter auf ihr weiches schwarzes Haar, das sie hochgesteckt trug, sodass ihr nur einzelne Locken hier und da locker auf die Schulter fielen. Sie hatte auf alle Pastelltöne verzichtet und war bekleidet mit einem weiten mitternachtsblauen Kleid, dessen Rock sich vorn öffnete und den Blick freigab auf weiße Unterröcke, die üppig mit Spitzen und Rüschen besetzt waren.
Über ihren weißen, ellenbogenlangen Handschuhen schimmerte ein mit Rubinen besticktes Armband, doch was Ian vor allem fesselte, war ihre milchweiße Haut, die das enge Mieder ihres Kleides in einem herzförmigen Ausschnitt und entblößten Schultern offenbarte.
Die Wirkung machte ihn sprachlos.
Er, der mit Königen diskutiert hatte und im Oberhaus wegen seiner Redegewandtheit großes Ansehen genoss, konnte einfach nur starren.
Während sie einen Moment in dem Durchgang verweilte, hatte sie die Marathen in eine Art Aufruhr versetzt. Ian musste keine besondere Kenntnis ihrer Sprache besitzen, um den Grund für die Unruhe im Saal zu verstehen: eine Mischung aus Überraschung, Unsicherheit wegen ihres kühnen Auftretens und schlichte männliche Verwirrung über ihre erstaunliche Schönheit.
Die Marathen wussten, dass die Engländerinnen nicht nach dem Purdah lebten, aber an ihrer Reaktion erkannte Ian, dass sie eine Frau wie Georgiana Knight noch nie gesehen hatten.
Aber so etwas hatte vermutlich auch ganz London noch nicht gesehen. Jedenfalls nicht seit den Lebzeiten ihrer Tante.
Ian war nicht sicher, ob er amüsiert oder empört sein sollte. Was zum Teufel machte sie hier? Hatte denn dieses Mädchen vor gar nichts Angst?
Obwohl sie die entsetzte Reaktion spüren musste, war Miss Knight offensichtlich entschlossen, sich nicht abschrecken zu lassen. Sie blickte sich im Bankettsaal um, als hätte sie jedes Recht, hier zu sein, auf der Suche nach jemandem, zu dem sie sich gesellen konnte.
Ian war viel zu gut erzogen, um zu ignorieren, dass sie sich möglicherweise doch nicht ganz so wohlfühlte wie sie vorgab - die Art, wie sie ihre Hände knetete, verriet sie. Wie es schien, benötigte diese kleine, hitzköpfige Dame einmal mehr einen Retter.
Mit einem höflichen Nicken allseits ging er zu ihr, entschlossen, diesmal das Zepter in der Hand zu behalten und sich nicht von ihr provozieren zu lassen.
Während er auf sie zuschritt, trank er den letzten Schluck seines feurigen Scotch Whiskey aus.
Was aber nicht bedeutete, dass er sich Mut antrinken musste, um Miss Knight entgegenzutreten, wie er sich selbst mehrfach versicherte.
6. Kapitel
An der Tür zögerte Georgie und sah ein Meer aus bunten Farben und entsetzten dunklen Gesichtern vor sich, doch sie wollte sich nicht zurückziehen. Sie hatte sich zu diesem Fest eingeladen, um eine Stellungnahme abzugeben: Sie war wegen all der unterjochten Frauen hier, die an solchen Festivitäten nicht teilnehmen durften.
Dennoch wirkte alles hier ein wenig einschüchternd, und hinter ihrer souveränen äußeren Haltung war sie verunsichert. Ihr Herz schlug wie wild, und ihr Mund fühlte sich trocken an. Die feindseligen Blicke der Marathen, und die finsteren Mienen von Colonel Montrose und einigen der Hochländer unterstrichen die Tatsache, dass niemand der Meinung war, dass sie hier etwas zu suchen hatte. Das schmerzte sie, denn tief im Innern war sie noch immer verstört, weil Lakshmi und Meena sie daran erinnert hatten, dass Georgie auch in ihre Welt nicht gehörte, sosehr sie sich auch bemühte.
Sie war nicht sicher, ob sie
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