Eine tollkuehne Lady
dass sie aufgeregt wirkte, und er überlegte, ob er sie fragen sollte, was nicht stimmte. Aber wenn sie der Dame mit dem Hut nur ein bisschen ähnlich war, dann würde sie ihn nur stirnrunzelnd anblicken und nach seinem Kindermädchen rufen, und dann würde man mit ihm schimpfen, weil er nicht in seinem Bett lag.
Als sie den Kopf hob und die Schultern straffte, fiel ihm auf, dass sie viel hübscher war als die Dame mit dem Hut.
Dann schniefte sie und wischte sich mit dem Ärmel die Nase ab, worauf Matthews Kichern seinen Platz an der Treppe beinahe verraten hätte. Viel wusste er nicht, aber er wusste, dass das keine guten Manieren waren, und weil diese Fremde derart gegen die Etikette verstieß, schloss er sie sogleich in sein Herz.
Er hörte, wie draußen im Gang die Dame mit dem Hut endlich hinausstürmte, wobei Mr. Tooke noch versuchte, sie ordnungsgemäß zur Tür zu geleiten. Ihre eiligen Schritte entfernten sich, und dann kam Papa zurück in den Salon.
In der Dunkelheit versteckt, beobachtete Matthew Papa und seine neue Dame. Er sehnte sich so sehr danach, zu seinem Papa zu laufen, aber irgendetwas sagte ihm, dass er das nicht tun sollte.
Papas Gesicht wirkte ernst und finster, als er leise die Tür hinter sich schloss, an der Treppe vorbeischritt, ganz nahe an der Stelle, an der Matthew stand. Er nahm wahr, wie sein Vater seufzte und sah, wie er die Hände in die Hüften stemmte. Einen Augenblick später trat Papa zu der zerzausten Dame.
Als er näher kam, erhob sie sich und verschränkte die Arme vor der Taille. Ihre Wangen waren gerötet, ihr Haar wirr, aber das störte Matthew nicht, denn auch er war für alle anderen immer zu unordentlich.
„Würdest du mich jetzt bitte nach Knight House bringen?“, fragte sie seinen Vater.
Matthew merkte auf. Knight House?
Dort lebte sein bester Freund Morley. Knight House war ihm der liebste Ort auf der ganzen Welt, viel besser als sein eigenes, düsteres, viel zu stilles Heim, wo jeder sich so gut benehmen musste. In Knight House war es viel lustiger, es lag auf der anderen Seite des Parks, und er ging jeden Tag dorthin. Tante Bel war ihm beinahe so etwas wie eine Mutter.
„Georgiana ...“
„Bitte, Ian.“ Die Stimme der zerzausten Dame war so leise wie ein Windhauch.
Matthew konnte den Blick nicht von ihr abwenden.
„Georgiana, es tut mir leid“, sagte Papa.
„Dir muss nichts leidtun.“ Sie fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Mir ist klar, dass du sie nicht eingeladen hast.“
„Aber was ist mit uns?“ Er warf einen bedeutungsvollen Blick auf die Schlafzimmertür.
„Nein! Bitte, Ian. Ich bin sehr müde. Ich denke - ich denke wirklich, ich brauche etwas Zeit.“
„Zeit?“
„Das alles geht so schnell. Es ist verwirrend. Bitte - würdest du mich in das Haus meines Cousins bringen? Ich bin so müde, dass ich nicht klar denken kann.“
Papa seufzte noch einmal, als wollte er damit hundert Dinge ausdrücken, aber er erklärte nichts davon. Er starrte nur die Wand an. „Natürlich.“ Er verschwand in sein Zimmer, und als er zurückkehrte, trug er ein Hemd und einen Rock. Er deutete auf die Salontür, und die dunkelhaarige Dame machte sich gefolgt von Papa auf den Weg.
Als sie an Matthew vorüberkamen, sah er Tränen in ihren Augen schimmern. Papa schien es nicht bemerkt zu haben.
Aber Papa bemerkte vieles nicht.
Wie Matthew, zum Beispiel.
Von seinem Platz an der Treppe aus beobachtete er, wie die Erwachsenen den Raum verließen, wie immer staunend darüber, wie groß und stark und mächtig sein Vater war. Sally, das Kindermädchen hatte ihm gesagt, dass ein Marquess keine Zeit hatte für kleine Jungen. Trotzdem wünschte Matthew sich, mit der Frau und seinem Vater gemeinsam nach Knight House fahren zu können, obwohl es mitten in der Nacht war und Morley vermutlich schlief.
Aber dann fiel ihm ein, dass er selbst morgen Knight House besuchen würde. Wenn Papa die unordentliche Dame dorthin brachte, dann konnte Matthew sie am nächsten Morgen gründlicher in Augenschein nehmen.
11. Kapitel
Durch die geschlossenen Lider hindurch fiel der blasse englische Sonnenschein am nächsten Morgen auf Georgie, als sie die Augen öffnete und langsam erwachte in dem umwerfenden Luxus von Knight House. Ihr war ein cremeweißes Schlafgemach gegeben worden, das sehr behaglich war. Das Erste, worauf Georgies Blick fiel, war die Vase mit rosaroten Hortensien, die auf einer Kommode stand.
Seufzend schloss sie die Augen wieder, und ein Gefühl von
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