Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Eine Trillion Euro

Titel: Eine Trillion Euro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eschbach Andreas
Vom Netzwerk:
an den Tod des Vicomte de Belsunce, der das Gefängnis von Caen geleitet hatte. Sicher, er war ein Streiter für die ungerechte alte Gesellschaftsordnung gewesen, aber gab es wirklich ein lediglich in der politischen Einstellung begründetes Delikt, das es rechtfertigte, ihn mit einer Schere in Stücke zu schneiden, ihm das Herz aus dem Leib zu reißen und seinen Kopf, seine Hände und seine Därme auf Mistgabeln gespießt dem Volk zu zeigen?
    »Es ist verabscheuungswürdig! Schrecklich, wie sie das Herz des jungen Mannes über dem Feuer geröstet haben. Und anschließend hat eine Frau es gegessen! Wer nimmt die Verantwortung für ein so entsetzliches Verhalten auf sich?«
    Ich entrüste mich mit ihr und stelle mir die gleiche Frage, ohne dabei umhinzukommen, einmal mehr ihre Eleganz zu bewundern. Ich überlege mir, welches Hemd sie unter ihrem Rüschenkleid tragen könnte. In Gedanken statte ich sie mit gestreiften Dessous und einem rosa Unterrock aus, in den ihre ineinander verschlungenen Initialen gestickt sind. Ich kann den Blick nicht von ihr wenden, während wir uns am dürren Stamm einer Revolutionseiche der Vorfälle vom 5. November des vergangenen Jahres erinnern. An diesem Tag wurde die Familie des Pfarrers von Saint-Jean mit der schlimmsten Abscheulichkeit gekränkt, die man sich nur vorstellen kann: Seine als widerspenstig geltende Mutter und seine Schwestern wurden misshandelt.
    Sie entrüstet sich mit mir. Erschüttert rufen wir uns die Massaker ins Gedächtnis zurück, die im September in Paris unser Ideal von sozialer Gerechtigkeit mit Blut besudelt hatten. In Charlotte spüre ich ein solches Bedürfnis nach Zärtlichkeit, dass ich sie am liebsten in die Arme genommen hätte; einzig mein Pflichtbewusstsein, meine jetzige Rolle und die Bedeutung der Sache, um die es geht, halten mich zurück. Was soll ich tun? Ihr schon von Marat erzählen? Soll ich ihr zeigen, dass an der Spitze des Jakobinerklubs ein Mann sitzt, der alles getan hatte und weiterhin tun würde, um im Namen der Justiz ganze Berge von Leichen aufzuhäufen? Oder soll ich die Aufgabe, ihr von der Existenz dieses Monsters zu berichten, lieber jemand anderem anvertrauen?
    Was soll ich tun? Am Besten verschwinde ich für ein paar Tage und lasse jemanden für mich arbeiten, der höher in ihrer Gunst steht und glaubwürdiger ist. Zum Beispiel könnte Gustave Doucet wieder auftauchen … Der künftige Abgeordnete würde ihr sicher die nötigen Bücher und Zeitungen besorgen, die einfachen Traktate und flammenden Aufrufe, mit denen die Parteien das Volk aufstacheln und so die Initiative in die Hand nehmen. Natürlich wäre auch L’Ami du Peuple dabei, dank dessen Beleidigungen unser rechtschaffenes Mädchen Marat hassen lernen würde. Anschließend würde Gustave Charlotte verlassen, sie würden sich versprechen, einander lange Briefe zu schreiben, und ich käme zurück, um die Wutausbrüche meiner schönen Spaziergängerin zu begleiten. Im Januar kommenden Jahres würde Marat den Kopf des Königs fordern, und Ende April würde er seine Gehässigkeit gegen den Nationalkonvent richten. Mit Waffengewalt würde er das Hindernis der vernünftigen Mitglieder der Volksversammlung niederreißen.
    Dann wären die Würfel gefallen, die Frankreich in zwei Hälften zerfallen ließen: In Paris säße ein frohlockender Marat auf Massengräbern, und in unserer guten alten Stadt Caen würde sich eine Hand voll geflohener Girondisten bemühen, nach Kräften den Irrsinn des Tyrannen zu unterwandern. Und für mich wäre der Augenblick gekommen, einen hübschen, einflussreichen Mann vom Schlage eines Barabaroux, einer der führenden Köpfe der Girondistenbewegung, ins Spiel zu bringen.
    »Sollten wir nicht lieber umkehren, Mademoiselle Corday? Mir scheint, der Himmel bewölkt sich …« Auf dem Rückweg zum Haus ihrer Tante, Madame Breteville, kommen wir am Hôtel de l’Intendance vorüber, wo sich die legalistischen Rebellen niedergelassen haben.
    »Bürger Abgeordneter, die Zeit arbeitet für die Partisanen des Bösen. Frankreich lebt im Rhythmus zweier Geschwindigkeiten: der Beschleunigung der Pariser Übertreibungen und der Trägheit, mit der Ihre schönen, meinem Herzen zusagenden Ideen stagnieren. Es ist bereits so weit, dass die Anhänger Marats uns unterwandern, während die Aufrufe girondistentreuer Truppen auf immer weniger Aufmerksamkeit stoßen. Der Dolch des Brutus schwebt über unserem Zeitalter! Wir müssen handeln, Bürger Abgeordneter! Ich

Weitere Kostenlose Bücher