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Eine Trillion Euro

Titel: Eine Trillion Euro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eschbach Andreas
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mein silbernes Tintenfass und mein Rechenbrett. Meine trockenen Finger halten eine Feder über einigen Berechnungen in der Schwebe. Im Raum schwebt eine liebliche Frage, die mir beweist, dass ich einmal mehr in die Haut eines anderen geschlüpft bin.
    »Glaubt ihr, Augustin, dass man anstelle der offiziellen Zuweisungskarten vielleicht unsere Spitzen zum Tausch gegen Lebensmittel und Kleidung annimmt? Die armen Teufel, die uns anvertraut sind, sollen doch auch einmal ein Stück Himmel sehen.«
    Charlotte sitzt mir gegenüber. Ihr wunderbares Haar ist unversehrt. Je nach Lichteinfall schimmert es braun oder blond. In ihren grauen Augen liegen Ernst und Schalk miteinander im Widerstreit, unter der zarten Haut ihrer zarten Wangen pulsiert ein lebhafter Blutstrom. Und dieses außergewöhnliche Kinn: es wird von einer vertikalen Furche zerteilt wie ein samtiger Pfirsich, formulierte ein Biograf. Mich allerdings erinnerte diese Linie immer an die erheblich weniger prüde Furche, welche die volle, weiße Anatomie von Frauen in zwei Hinterbacken teilt.
    »Was meint ihr, mein Augustin? Sagt mir, was ihr denkt.«
    Die Feder ist meinen Fingern entglitten. Sie rollt über die Rechnungen, verunziert sie mit hässlichen Tintenflecken, und mit dem Handrücken wische ich diese mit Zahlen bedeckten Bagatellen beiseite, die mein tägliches Brot ausmachen:
    »Eine gute Idee, in solch unsicheren Zeiten den Tauschhandel wieder aufleben zu lassen. Im Übrigen sind die offiziellen Zuweisungskarten nicht die Bohne wert, wenn ich mich so ausdrücken darf. Hingegen kenne ich gewisse Marketender und Kostümverleiher, denen beim Anblick Ihrer Spitzendeckchen das Herz vor Freude hüpfen wird. Ich habe bereits Adressen besorgt, Mademoiselle Charlotte …«
    Bei diesen Worten hält sie nicht mehr an sich, klatscht in die Hände und springt so schnell auf, dass ihr langes Rüschenkleid um sie herumwogt. »Ach, es macht Freude, Gutes zu tun. Mein Kopf dreht sich. Mir fehlt ein wenig frische Luft. Kommt, liebster Augustin, lasst uns spazieren gehen!«
    Höflich reiche ich ihr den Arm, und sie legt ihre zarte Hand hinein. Wir promenieren durch die Straßen von Caen, über Kopfsteinpflaster, auf dem die hölzernen Absätze ihrer Stadtschuhe fröhlich klappern. Ich beobachte sie aus dem Augenwinkel. Sie spricht mit mir, sie ereifert sich, sie hat sich nicht verändert. Es ist kaum zwei Jahre her, dass mich in der Abtei Notre-Dame-aux-Bois eben dieses schöne Mädchen mit den unzähligen Vergnügungen bedachte, die in Aufrichtigkeit verborgen liegen. Damals versah sie ihre Aufgabe als Verwalterin in der Abtei. In ihrer Rede mischten sich naive Ideale, ein gesunder Sinn für Praxis und ein gewisser, von den Altvordern ererbter Stoizismus.
    Sie hielt mich für den Neffen der Äbtissin und sprach mich mit Gustave an. Ich erzählte ihr von den Ständen, von der Bastille und erging mich für sie in vielen neuen Ideen. Wir standen am Ende einer Epoche, in der das Ausblühen eines mit einer Galgenfrist bedachten Adelsstandes zu geradezu endlosen Familiennamen geführt hatte. Und weil man jedem leichtgläubig eine Namensreihe abnahm, die an eine Gauklerrevue gemahnte, lautete der Name meines ersten geliehenen Körpers Gustave Doulcet de Pontécoulant. Da wir beide von dem großen Corneille abstammten, bewunderte Charlotte meinen Mut, zugunsten des Dritten Standes der Normandie auf meine sämtlichen Titel zu verzichten. Ich wurde zum Helden der arbeitenden Klasse. Sie hat nichts davon vergessen. Ohne sich darüber im Klaren zu sein, erzählt sie mir manchmal von mir: »Wisst ihr eigentlich, dass man sagt, Gustave Doulcet sei zum Generalsekretär der Provinz Calvados gewählt worden?«
    Im Augenblick hält sie mich ganz und gar für Augustin Leclerc. Jetzt ist es an mir, den Verwalter zu spielen; den Verwalter ihrer Tante Madame de Breteville. Gustave Doulcet hat sich zwangsläufig etwas rar gemacht, und die Umstände haben sich verändert. Das gesteht sie selbst:
    »Die Zeiten sind schrecklich. Die reinsten Hoffnungen verwandeln sich in reinste Abscheulichkeiten, die der menschlichen Natur unwürdig sind. Was können wir tun, liebster Augustin, um den wachsenden Irrsinn einzudämmen? Wie entgehen wir den Aufrufen zur Kriminalität, die uns aus Paris erreichen?«
    Wir waren die Rue Saint-Jean entlanggeschlendert, in die Rue des Carmes eingebogen und bewegten uns auf das baumbestandene Geviert zu, das man in Parc de la Nation umgetauft hatte. Charlotte erinnerte

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