Eine Trillion Euro
Ludwigsburg auf. Nach der Mittleren Reife absolvierte er eine Werkzeugmacherlehre, holte 1959 das Abitur nach und studierte Germanistik, Anglistik und Philosophie in München, wo er bis heute lebt. Damals erschien auch seine erste Kurzgeschichte Die Anderen. 1969 wurde er Redakteur bei Kindlers Literaturlexikon und gab von 1970 bis 1972 als freier Mitarbeiter die Reihe Science-Fiction für Kenner im Lichtenberg Verlag heraus. 1973 wechselte er als Herausgeber für die Science-Fiction-Reihe zum Wilhelm Heyne Verlag und fand damit, wie sich zeigen sollte, seine eigentliche Berufung: Über die Jahre zeichnete er verantwortlich für die Veröffentlichung zahlreicher wichtiger Werke der Science-Fiction in Deutschland, verschaffte zudem mit der Herausgabe von weit über 100 Anthologien der für die Science-Fiction so wichtigen Form der Kurzgeschichte ein breites Forum und baute die Reihe ›Heyne SF‹ zur zeitweise größten Science-Fiction-Reihe Europas aus. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass die Science-Fiction in Deutschland ohne Wolfgang Jeschke eine andere wäre; er hat die literarische Landschaft gestaltet wie kein anderer. Das spiegelt sich auch in der schier unübersehbaren Liste seiner Auszeichnungen: Als Herausgeber internationaler Science-Fiction wurde er 1987 mit dem Harrison Award und 1992 mit dem italienischen Premio Futuro Europa ausgezeichnet, für sein Lebenswerk erhielt er 1999 den französischen Prix Utopia und 2000 den Kurd-Laßwitz-Preis – ein Preis, der Wolfgang Jeschke, übrigens ein Mitglied der ersten Stunde im Science-Fiction-Club Deutschland (er hat die Mitgliedsnummer 287) und mittlerweile Ehrenmitglied, nicht weniger als 15 Mal zuerkannt wurde, mit Abstand häufiger als jedem anderen und in praktisch allen möglichen Kategorien. (2001 ging Wolfgang Jeschke in den Ruhestand. Mit Sascha Mamczak übernahm ein überaus kompetenter Nachfolger die Funktion des Herausgebers. Doch im gleichen Jahr starb überraschend der Verleger Rolf Heyne, und der Heyne Verlag wurde verkauft. Seither verfolgt die Science-Fiction-Szene Deutschlands fassungslos, wie eine Institution im Poker großer Konzerne zerrieben wird.)
Wolfgang Jeschkes dominierende Funktion als Herausgeber hat stets überschattet, dass er daneben außerdem ein hervorragender Science-Fiction-Autor ist. Sein fulminanter erster Roman Der letzte Tag der Schöpfung erschien 1981 und war nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland ein durchschlagender Erfolg: So wurde er beispielsweise ins Französische übersetzt, eine Ehre, die fast zwanzig Jahre lang keinem weiteren deutschen SF-Roman widerfahren sollte. Zu seinen bekanntesten Romanen, Novellen und Kurzgeschichtensammlungen zählen Titel wie Der Zeiter (1970), Osiris Land (1986), MIDAS und die Wiederauferstehung des Fleisches (1989) oder Schlechte Nachrichten aus dem Vatikan (1993). Übersetzungen seiner Bücher sind in England, Frankreich, den USA, der damaligen CSSR, in Italien, Polen, Spanien, Rumänien, Bulgarien und Ungarn erschienen. Neben Kurzgeschichten hat Wolfgang Jeschke auch zahlreiche Hörspiele geschrieben, Sybillen im Herkules oder Instant Biester etwa (1984), Jona im Feuerofen (1988) oder Der Wald schlägt zurück (1993), jeweils die brennenden Themen der Zeit auf ungewöhnliche, eindrückliche Weise aufgreifend.
Die folgende Kurzgeschichte verdankt möglicherweise dieser Anthologie ihre Existenz. Als ich nämlich mit Wolfgang Jeschke telefonierte und von meinem Projekt erzählte, meinte er, er würde zwar gern etwas beisteuern, aber er habe gerade nichts, auch nichts Passendes demzufolge – allenfalls eine Idee. Aber er schreibe nun einmal sehr langsam, wahrscheinlich reiche das nicht mehr. Ich bot an, ihm bis zum allerletzten Moment einen Platz in der Anthologie frei zu halten, das Manuskript von reitenden Boten abholen zu lassen, was man eben so anzubieten hat als Herausgeber: im Grunde nichts außer brennenden Wünschen. »Mal sehen«, sagte Wolfgang.
Ein paar Wochen später – ein gutes Drittel der anderen Storys stand noch aus – hielt ich ein Manuskript von ihm in Händen. Eine ergreifende, wahrhaft wunderbare Geschichte, die von den ersten Zeilen an jenen sense of wonder verströmt, der große Science-Fiction auszeichnet.
Also: Vorhang auf …!
Das Geschmeide
von Wolfgang Jeschke
Das Boot trieb steuerlos dahin und kreiselte inzwischen so stark, dass ich taumelte und gegen die Reling gedrückt wurde. Ich starrte einen Moment lang hinunter in
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