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Eine Trillion Euro

Titel: Eine Trillion Euro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eschbach Andreas
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halten mich also für die große Glocke, meine Liebe?, hätte ich am liebsten gesagt. »Es wäre besser gewesen, wenn man mich informiert hätte. Es hätte uns um ein Haar das Leben kosten können. Ich wurde völlig überrumpelt von der Aggressivität dieser sonst so friedfertigen Leute.«
    Die Hand flog auf und ließ sich auf meinem Knie nieder. Eine sanfte, begütigende Berührung. Mein Groll schwand dahin.
    »Sie haben Recht, aber die Emissäre der Flotte bestanden darauf, Stillschweigen zu bewahren.«
    »Wird man versuchen, die echten Steine wiederzubeschaffen, die in dem Geschmeide fehlen?«
    »Das ist völlig aussichtslos«, sagte Henri. »Es ist alles versucht worden. Es wurden Millionen Äquvale als Belohnung ausgesetzt. Glaubst du allen Ernstes, dass sich ein Sammler je von einem solchen Leckerbissen trennen würde? Einem wiedergeborenen Gott, der vor achtzig- oder hunderttausend Jahren leibhaftig gelebt hat, überliefert in Form eines Diamanten? Nie im Leben! Nicht um alles in der Welt! Ich würde es auch nicht tun.«
    »Monsieur Frebillon!«, sagte die Bürgermeisterin tadelnd.
    Er hob die Hände. »Ich habe keinen der fehlenden Steine, Mademoiselle La Maire. Aber wenn ich ehrlich bin …« Er blies die Hörner seines Schnauzers in die Höhe und schüttelte den Kopf. »Nein. Ich würde mich ebenfalls nicht von so einer Kostbarkeit trennen. Sie ist unbezahlbar.«
    »Ich verstehe die aggressive Reaktion der Mönche und der Pilger nicht«, sagte die Bürgermeisterin. »Zu diesem Zeitpunkt war die Keschra doch noch am Leben, wenn ich das richtig verstanden habe.«
    »Ja. Aber sie war bereits sehr hinfällig. Ich stand ja keine drei Meter von ihr entfernt, als sie das Geschmeide entgegennahm. Ich spürte ihre Angst und ihr Entsetzen. Der Schock hat ihr die letzte Kraft geraubt. Die Welt entglitt ihr.«
    »Wenn man ihr die Quelle ihrer Kraft, die Verbindung zu ihren Vorfahren, geraubt hat – wie sollte es anders sein?«, sagte Henri mit sorgenvoll gefurchter Stirn.
    Er schlug mit der Faust in die Handfläche. »Das könnte das Ende der Kolonie bedeuten.«
    »Wie lange wird die Raserei Ihrer Meinung nach dauern, Monsieur Palladier?«, fragte sie nüchtern.
    »Ich weiß es nicht. Der letzte Ausbruch fand vor achthundert Jahren statt. Da lebten die Menschen erst ein halbes Jahrhundert auf diesem Planeten. Für sie kam das Ereignis völlig überraschend. Die Städte waren ungesichert. Einige Siedler kamen ums Leben. Die Aufzeichnungen sind lückenhaft und ziemlich verworren. Es scheint etwa zwei Jahre gedauert zu haben, bis die Wiedergeborene Göttin gefunden war und sich die Verhältnisse wieder normalisierten.«
    »Diese chaotischen Zeiten treten also jedes Mal ein, wenn eine Keschra stirbt, und dauern an, bis ihre Wiedergeburt aufgefunden wurde.«
    »Ja. Die Annahme stützt sich auf Überlieferungen der Einheimischen, so weit sie überhaupt zu deuten sind. In ihnen ist von der periodischen Wiederkehr von Zeiten der Unrast und des Unfriedens die Rede.«
    »Und wie lange dauern die Zeiten des Friedens dazwischen?«
    »Manchmal fünfhundert Jahre, manchmal tausend, manchmal zweitausend – je nachdem, wie lang eine Keschra lebt. Die Legenden der Cartesaner sind vage. Nur wenige sind schriftlich fixiert. Eine Datierung ist aussichtslos.«
    »Aber die Zahl der Perioden ist eindeutig.«
    »Absolut. Es gab dreiundachtzig Wiedergeburten.«
    »Dreiundachtzig Diamanten umfasst das Geschmeide«, warf Henri ein.
    »Genau.«
    »Wenn man von fünfhundert bis zweitausend Jahren Lebenszeit ausgeht, dann bedeutet das …«
    »… eine kulturelle Tradition von mindestens hunderttausend Jahren, Mademoiselle. Von ein paar Idioten an einem Tag zerstört aus Habsucht und Geldgier.«
    Wir schwiegen. Die Hand war längst in ihrem Gewand verschwunden und hatte ein Gefühl der Leere hinterlassen. Sie hatte mich berührt – wahrscheinlich unwillkürlich, allenfalls besänftigend, weil sie meinen Ärger gespürt hatte. Dennoch hatte der Druck ihrer Finger mir ein euphorisches Kribbeln im Hinterkopf verursacht.
    »An einer Stelle schreiben Sie in Ihren Arbeiten«, sagte sie, »dass diese Zeiten des Chaos auch positive Wirkungen haben.«
    »Zweifellos, denn bedenken Sie: Es werden dabei verkrustete Strukturen aufgebrochen. Es gibt Revolutionen. Institutionen werden hinweggefegt. Ganze Stämme setzen sich in Bewegung auf der Suche nach neuen Siedlungsgebieten, fruchtbaren Weide- oder ergiebigeren Fischgründen. Es kommt zu bewaffneten

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