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Eine Trillion Euro

Titel: Eine Trillion Euro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eschbach Andreas
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letztes. Wir blieben in Gesellschaft vieler schweigsamer Pierrots an Deck stehen und beobachteten, wie die Stadt einmal mehr in den Fluten versank. Der Himmel war violett. Ein gewaltiges Gewitter entlud seine Blitze über unseren Köpfen, und Venedig schien in einer feuchten Schmuckschatulle zu versinken, die sich wie eine Auster über der Perle um die Stadt schloss.
    Du zeigtest mir das einsame Windlicht, das in den Fenstern des Palazzo Cavalli flackerte. Ein Angehöriger des alteingesessenen Adels der Stadt hatte wohl beschlossen, mit ihr zusammen unterzugehen, wie der Kapitän eines sinkenden Schiffes. Der mechanische Gondoliere wandte ein ausdrucksloses Gesicht in seine Richtung und winkte einen Gruß mit dem Strohhut, ehe er sich wieder seinem Ruder zuwandte. Wenige Minuten später erreichten wir den festen Boden des Lido.
    Im Zug nach Rom entledigten wir uns der Überreste unserer Kostüme und legten die Uniform der Alltäglichkeit wieder an. Ich entdeckte, dass du eher brav, fast zurückgezogen, in einer Mansarde lebtest. Der Kontrast zwischen den kalten Feststellungen deiner Akte und dem Bild von dir, das ich bei den gleichzeitigen Erkundungen deines Körpers und Venedigs gewonnen hatte, weckten mein Interesse, dich wieder zu sehen. Einige Wochen später lebten wir zusammen. Der Rest unserer Geschichte war vorhersehbar geworden.«
    Sie genoss die Stille, die seinen letzten Worten folgte und dankte ihm mit einem Nicken dafür, dass er die Umstände ihrer Trennung verschwiegen hatte. Auf diese Weise blieb die Geschichte so unpersönlich, dass sie sich ohne Schwierigkeiten einreden konnte, die beiden von ihm beschriebenen Personen führten ihre Beziehung seither weiter.
    Überraschend küsste er sie auf den Mundwinkel und riss sie aus ihrer Träumerei. Sie sah ihn an. Verblüfft stellte sie fest, wie nah ihr dieses noch am Vortag unbekannte Gesicht gekommen war, das jetzt ihre ganze Gegenwart ausfüllte. Sie befand sich nicht mehr allein auf dem schmalen Strand, der sich von einer kaum wahrgenommenen Vergangenheit in eine Zukunft erstreckte, die sie nicht vorhersehen konnte. Das machte ihr Angst. Sie wandte den Mund ab, und der zweite Kuss glitt an ihrem Hals entlang, ehe er sich in den Haaren verlor.
    »Bitte nicht. Ich möchte das nicht.«
    Die Gärten wühlten einen Ozean aus wild bewegten Grashalmen rings um sie auf. Sie trieben, an ihre Decke wie an ein Floß geklammert, auf seiner Oberfläche dahin.
    »Aber warum?«
    »Ich liebe dich nicht. Nein, unterbrich mich jetzt nicht. Hör einfach zu. Ich liebe dich nicht, weil ich niemanden mehr lieben kann. Dazu bedarf es der Zeit, und davon habe ich, wie du sehr wohl weißt, nicht mehr genug. Ganz gleich, was geschieht, morgen werde ich alles vergessen haben.«
    Mit der Fingerspitze strich er ihre Halslinie entlang.
    »Ich werde nicht zulassen, dass du mich jemals wieder vergisst.«
    Bis zur Morgendämmerung schrieb er seinen Namen mit Lippen und Zähnen auf die jungfräuliche Haut ihrer wieder gefundenen Liebe, während die Gärten der Medici ihre nächste Metamorphose vorbereiteten.
    Am folgenden Tag eilte er die Alleen entlang, um sie zu treffen. Doch die Bank war leer. Er wartete bis zum Einbruch der Nacht. Auch an den nächsten Tagen erschien sie nicht. Eine Woche lang wartete er mit einem Roman in der Hand auf ihre Rückkehr. Dabei achtete er darauf, ihren angestammten Platz frei zu halten, damit sie sich so setzen konnte, wie sie es gewohnt war. Das Krachen eines trockenen Zweiges oder die Schritte eines unsichtbaren Spaziergängers auf dem Kies ließen ihn immer wieder aus seiner Lektüre auffahren. Er hatte Schwierigkeiten, dem Verlauf der Geschichte zu folgen, und musste oft zurückblättern, genau wie früher diejenige, auf die er nun wartete. Wenn die Dunkelheit ihn schließlich hinderte, die Buchstaben zu entziffern, schloss er das Buch und blieb eine Zeit lang mit ins Leere gerichtetem Blick sitzen, ehe er die Gärten verließ.
    Am folgenden Montag fand er sie wieder auf der Bank sitzend vor. Erleichtert eilte er auf sie zu. Sie sah ihn mit ihren hellen Augen an, in denen sich nichts als eine höfliche Teilnahmslosigkeit widerspiegelte, und die Sätze, die er vorbereitet hatte, erstarben auf seinen Lippen. Er setzte sich neben sie und beobachtete sie schweigend, während sie sich eifrig den ersten Seiten ihres nicht enden wollenden Buches widmete.
    Als er sich schließlich entschloss, sie anzusprechen, war der Abend bereits fortgeschritten. Sie

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