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Eine Trillion Euro

Titel: Eine Trillion Euro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eschbach Andreas
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immer früher. Kaum hatte er seine Arbeit beendet, betrat er die Gärten und eilte eine schnurgerade Allee entlang, die sich hinter ihm in die Unendlichkeit auszudehnen schien. Die Wasserbecken begrüßten sein Erscheinen mit Springbrunnenfontänen, und die Statuen rückten ihre Pose zurecht, wenn er vorüberging. Er setzte sich auf die Bank, und sie klappte ihr Buch mit einer Geste zu, die ihm inzwischen vertraut geworden war.
    Zu Allerseelen verbrachte er den ganzen Tag mit ihr. Ihre Erinnerungen an den Vortag waren noch fast vollständig, und so rückte sie ein Stück beiseite, um ihm Platz zu machen. Ihr Buch hatte sie dieses Mal nicht dabei. Vielleicht hatte sie es vergessen. Er bemühte sich, darin ein gutes Zeichen zu sehen.
    Der Morgen verging wie ein Traum. Sie sprachen über dieses und jenes, hauptsächlich jedoch über die Vergangenheit. Endlich fand er Zeit, ihr alles zu erzählen: über ihre Verbindung, ihre Trennung, die langen, zärtlichen, manchmal von Streit unterbrochenen Zeitabschnitte, die wie Strände aus weichem Sand zwischen rauen Felsvorsprüngen gewesen waren. Sie wusste nicht, ob sie ihm glauben sollte oder nicht, aber jedes seiner Worte klang in ihren Ohren wie die Erinnerung an eine längst vergessene Melodie. Die Geschichte war so schön, dass sie wahr sein musste.
    Gegen Mittag schlug er ein Picknick vor. Er packte Salat, gekochten Schinken und Olivenbrot aus. Am Fuß der Pinie breiteten sie eine Decke aus und legten die Flasche zum Kühlen in ein steinernes Wasserbecken.
    Zugvögel flogen über ihre Köpfe hinweg Richtung Süden, und der Wind ließ welke Blätter tanzen. Ungestört verflossen die Minuten, als hätte der Eingriff der Gedächtnishändler eine Lücke in der Wirklichkeit hinterlassen, durch die sich die Wellen einer unendlichen Gegenwart ergossen.
    Nach dem Essen streckten sie sich im Gras aus, und er erzählte ihr von Venedig. Einem glorifizierten Venedig, frei von jeder Unreinheit, die das Abbild in seinem Gedächtnis hätte trüben können. In ihrer Gesellschaft erlebte er auf diese Weise ein Abenteuer, das ebenso reich war wie das Original und dessen Ablauf er selbst auf ein gutes Ende hin kontrollieren konnte. Ohne es zu bemerken, formte er dabei die Landschaften ihres gemeinsamen Lebens nach dem Vorbild der sie umgebenden Gärten.
    »Wir haben uns während des Karnevals kennen gelernt. Weißt du, in dieser Jahreszeit taucht die Stadt aus dem Wasser auf und findet für eine gewisse Zeit zu ihrer früheren Pracht zurück. Provisorische Dämme trennen die innere Lagune vom Meer. Pumpen saugen das schlammige Wasser in ihren gierigen Schlund, lassen verlorene Paläste an die Oberfläche steigen.
    Erinnere dich. Wir wohnten in einem dieser vielen hundert Meter langen Gondelhotels, die von mechanischen Gondolieri vorwärts gestakt werden. In ruhiger Regelmäßigkeit bewegen sie Ruder von der Fläche und den Ausmaßen eines Portals. Langsam überquerten wir die Lagune, eingelullt von den Liedern aus den im Torso der Gondolieri verborgenen Lautsprechern und dem Plätschern des schlammig dickflüssigen Wassers.
    Manchmal begegneten sich zwei Gondeln. Dann grüßten die Gondolieri einander, wie Stelzvögel mit schwarzen Körpern, wie bebänderte Silberreiher, und es sah aus wie die Parodie eines Balzrituals, von dem wir nichts wussten.
    An Bord dieser Schiffe war es so leicht, sich zu verlieben! Unsere Kostüme waren nur zum Ausziehen gedacht, und die Masken verbargen kaum den Wunsch, erkannt zu werden. Wir verkleideten uns, weil wir unsere Körper mit einer ach so leicht zu öffnenden Schmuckschatulle umgeben wollten …
    Und doch sind wir uns nicht auf den Promenadendecks aus Ebenholz begegnet. Wir haben uns erst in der Stadt kennen gelernt.«
    Ganz im Bann seiner Erzählung wandte er ihr den Kopf zu und fragte:
    »Erinnerst du dich?«
    Enttäuscht schüttelte sie den Kopf, freute sich aber dennoch, zum ersten Mal ihrer Geschichte lauschen zu dürfen.
    »In einen dunklen Umhang gekleidet und mit einer Sense in der Hand ging ich über den Markusplatz. Überall zuckten gestrandete Fische. Eine Gruppe gelangweilter Harlekins bewarf sie mit Taubenfutter und amüsierte sich köstlich über ihre unkontrollierten Zuckungen, die sie wie Vögel mit gebrochenen Flügeln wirken ließen. Ich ging in meinem Sensenmann-Kostüm mitten durch die Gruppe hindurch und bedrohte sie mit der Sense. Sie lachten über mich und bombardierten mich mit Körnern, überließen aber die Fische ihrem

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